Spione, Melkeimer und Kommunist*innen

Francesco „Volpe“ Bertacchi (Jg. 1926), operierte mit seiner Einheit in der Gegend um Ciano. Die Gegend um Ciano war sehr gefährlich, da es dort ein ­Antiguerilla-Zentrum gab.

Videointerviews mit Francesco Bertacchi im European Resistance Archive

Leider ist Francesco „Volpe“ Bertacchi am 1. Juni 2024 gestorben – aus diesem Anlass erinnern wir an seine Erzählungen im Rahmen der „Stentieri Partigiani“:

Foto: Volpe steht vor der Gedenktafel eines kurz vor Kriegsende getöteten Partisanen (2006)

Francesco Bertacchi: Eines Tages bekam unsere Einheit die Aufgabe, eine für die Deutschen wichtige Verbindungsstraße zu beobachten, um später dort Aktionen durchzuführen.
Wir wussten nach einiger Zeit, dass der Kommandant des Folterzentrums Ciano oft diese Straße benutzte und so bekamen wir den Auftrag, ihn fest­zusetzen. Sechs Leute aus meiner Gruppe haben es dann auch geschafft, seinen Wagen abzufangen. Dabei wurden viele wichtige Dokumente erbeutet, u.a. Quittungen über die Bezahlung von Spionen. Der Kommandant wurde erschossen. Unsere Leute haben versucht, das Auto verschwinden zu lassen, da es klar war, dass die Deutschen eine Vergeltungsaktion durchführen würden. Aber es hat nichts genutzt.
Als Vergeltung haben die Deutschen einen Weiler an der Straße niedergebrannt und die Einwohner am Ort der Aktion erschossen. Auch später noch wurden Gefangene aus dem ­Folterzentrum dorthin gebracht und erschossen. Die Deutschen ließen dann die Getöteten liegen – als Warnung und zur Abschreckung. Die Ange­hörigen durften sie nicht wegbringen und beerdigen.

Spione waren ein Problem für den Widerstand

Die Gegend um Ciano galt als sehr ­gefährlich, da es in Ciano ein Anti­guerilla-Zentrum gab. Deswegen mussten wir oft unser Nachtquartier wechseln und waren ständig auf irgendwelche Überraschungen gefasst.
Eines Tages hatten wir einen Spion enttarnt und da wir wieder das Quartier wechseln mussten, übertrug der Kommandant mir die Aufgabe, diesen zu einer anderen Gruppe zu bringen, wir hätten ihn ja nicht die ganze Zeit von Lager zu Lager mitschleppen können. Ein Kamerad von mir, sagte aber: „Komm Volpe, das übernehme ich, ich bin schon fertig mit Frühstücken.“ Auf der Strecke kam er dann in einen Hinterhalt von zwei Deutschen.
Wir im Lager wurden von einer Frau informiert, dass die Deutschen in der Nähe seien und sich mit dem Gefangenen in einer Käserei aufhielten. Als wir dort ankamen, wurden wir mit Gewehrsalven empfangen und wir konnten nichts anderes tun, als uns zu verstecken und das Gelände zu umstellen. Es wurde uns gesagt, dass sich insgesamt zwölf Deutsche und Faschisten dort verschanzt hätten. Den halben Tag sind wir um das Gebäude geschlichen, haben versucht, unseren Kreis enger zu ziehen, ab und zu wurde geschossen. Wir kamen aber nicht ran. Uns wurde sogar ein kleiner Mörser aus einem Waffenversteck in der Nähe gebracht. Aber wir hatten nicht viel Munition. Zwei Schuss konnten wir abgeben, in der Hoffnung, dass sie sich dann ergeben würden. Aber das Haus war zu robust, und die Deutschen hatten Käseformen in die Fenster gestellt und sich damit bestens verbarrikadiert.
Wir erfuhren, dass diese Spezialeinheit aus Deutschen und italienischen Faschisten begann ihre Dokumente im Haus zu zerstören. Die wollten nicht identifiziert werden und schienen wohl auch richtig Angst zu haben.
In der Nacht haben die Deutschen dann ein paar Käseformen in den Wald gerollt, um zu sehen, ob es eine Reaktion gäbe, ob wir noch da seien. Wir haben das nicht mitbekommen und weil wir nicht geschossen haben, haben die die Chance ergriffen und sind abgehauen.
Am Morgen waren sie dann weg, leider auch mit dem Spion und unserem Genossen. Meinen Genossen habe ich nach der Befreiung wieder getroffen. Gott sei Dank wurde er nicht in das Folterzentrum nach Ciano verbracht, sondern nach Parma. Dort wurde ­er kor­­rekt behandelt, vielleicht, weil der Spion erzählt hatte, dass wir ­unsere Gefangenen immer korrekt ­be­handelten.

Trotz dieser Bedrohung gab es keine einheitliche Regelung zu überprüfen, ob diejenigen Spione waren, die zu uns in die Berge kamen. Es hat bei uns keine Probezeit, Verhöre oder so etwas gegeben. Man hat Neulinge ein bisschen beschnuppert, ihnen ein Gewehr in die Hand gegeben oder auch nicht und sie auf Wache oder Streife geschickt. Man hat sie ins kalte Wasser geworfen, aber es gab keine Maßnahmen, um zu verhindern, dass Spione in die Einheit kamen.

Dem Spion folgten die Deutschen

Wir waren mit unserer Einheit zur Erholung in einem Nebental, das als sicher galt. Trotzdem kam eine Stafette zu uns, die sagte, „Passt auf, es gibt Bewegungen, die Deutschen kommen.“ Wir haben uns daraufhin zurückgezogen, wie wir es meistens machten, da wir nicht auf große Schlachten aus waren. Die Deutschen wurden von einem lokalen Spion geführt, der auch die Information geliefert hatte, dass sich hier im Tal Partisanengruppen aufhielten. Wir dachten, dass die Stafette auch die anderen Gruppen unten im Tal benachrichtigt hätte, dem war aber nicht so, oder die Warnung wurde nicht ernst genommen, weil man sich sicher fühlte. Solche Desaster sind leider öfters passiert. Die Wache der anderen Gruppe hat die Deutschen jedenfalls angehalten und gefragt, wer sie seien. Der Spion hat geantwortet: „Ich bin von hier“ und die Wache hat ihn passieren lassen, weil er den ­hiesigen Dialekt sprach. Er hat zu spät gemerkt, dass dem Spion zwei oder drei Deutsche folgten. Er hat noch geschossen, ist dann aber selber getötet worden. Die Gruppe wurde umzingelt und dann nach Ciano abgeführt, dort verhört und deportiert oder getötet.

Francesco Bertacchi „Volpe“ (rechts) mit Camillo Marmiroli „Mirko“,
Francesco Bertacchi „Volpe“ (rechts) mit Camillo Marmiroli „Mirko“,

Auch als ich zu meiner ersten Einheit in die Berge kam, gab es keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Ich hatte eine Adresse bekommen, aber die stimmte nicht mehr. So bin ich dann mit zwei anderen immer von Dorf zu Dorf bis hoch zum Pass gelaufen, das hat drei oder vier Tage gedauert. Wir haben die ganze Zeit draußen geschlafen und hatten bald nichts mehr zu essen. Immer wieder haben wir gefragt, wohin wir gehen sollten, aber niemand traute sich, uns zu sagen, wo die Partisanen waren. Endlich, nach ein paar Tagen, haben wir eine Frau vor einem Haus getroffen. Sie verriet uns, dass in diesem Ort jeden Tag ein Mann vorbei käme, über den wir in Kontakt mit den Partisanen kommen könnten. Wir haben dann kurz mit diesem Mann ­gesprochen und wurden sofort zu seiner Einheit mitgenommen.
Man hat uns von Anfang an mit auf Streife gehen lassen, allerdings ohne Waffen. Sie wollten uns schon erst einmal ein wenig beschnuppern.
Wir hatten eigentlich ein ganz erträgliches Leben dort. Mal mit auf ­Wache, essen, schlafen. Nach ein paar Tagen hat unser Kommandant dann gefragt, wie es uns denn gefalle. Ich habe gesagt, es wäre wie im Paradies. Einer meiner Begleiter hat allerdings geantwortet, er wäre lieber in einer kommunistischen Einheit. Der Kommandant war total sauer, der war eher ein bürgerlicher. Am selben Tag noch haben wir unseren Laufpass bekommen. Und dann haben wir wieder vier bis fünf Tage draußen geschlafen, gehungert und nach einer neuen Einheit gesucht.

Aber jung waren wir damals! Ich war mit 18 Jahren schon bei den Partisanen. Ich erinnere mich, wir hatten in einer Gegend einen Wachposten, von dem aus man die ganze Gegend übersehen konnte und so auch einen Stall unter uns, in dem nachmittags gemolken wurde. Wir haben oft etwas Milch bekommen, was damals unbezahlbar war. Der Bauer hatte auch eine nette Tochter und als ich einmal dran war, nach Milch zu fragen, war die Tochter gerade am Melken. Sie hat mich eingeladen, neben ihr zu sitzen und dann hat sie mich geküsst. Leider ist dabei aber der Melkeimer umgefallen und die ganze wertvolle Milch war weg. Und damit war auch unsere Liebes­geschichte vorbei, bevor sie angefangen hatte. Ich musste weglaufen und bin dann auch nie mehr zu dieser Wache eingeteilt worden.

Erzählungen von Francesco Bertacchi im Rahmen der „Stentieri Partigiani“

Spione gegen den Widerstand

Im Sommer 1944 kontrollierten die PartisanInnen große Teile des Apennin im Landkreis Reggio Emilia. Einer der letzten deutschen Stützpunkte in dieser Gegend war das Örtchen Ciano am Fuße des Apennin. Hart umkämpft waren in dieser Zeit die Straßen, die vom Norden durch die Berge Richtung Süden, Richtung Front verliefen, da die Deutschen sie für ihren Nachschub und ihre Kommunikation benötigten.

Im Sommer 1944 starteten die Deutschen eine letzte große Aktion, die Aktion Wallenstein. Sie hatte drei Ziele: die Bekämpfung der PartisanInnen, Einschüchterung der Bevölkerung und Deportation von Gefangenen für den Arbeitseinsatz in Deutschland.
Nach diesem Großeinsatz änderten die Deutschen ihre Taktik und begannen, Spione in die PartisanInnengruppen einzuschleusen. Sie gründeten dazu das Antiguerilla- und Folter­zentrum in Ciano. Etwa 40 bis 50 Mann, Wehrmachtssoldaten, Gebirgsjäger, Gestapo, Sicherheitsdienst, waren hier stationiert. Ihre Aufgabe war es, Spionageaktionen durchzuführen, PartisanInnengruppen zu infiltrieren, aber auch Verhöre und Folterungen von Gefangenen zur Informations­beschaffung durchzuführen.

Das Zentrum in der ehemaligen Grundschule von Ciano bestand zwischen September 1944 und Januar 1945. Am 11. April wurde Ciano von den PartisanInnen befreit, die ­Deutschen flohen weiter Richtung Norden. Laut dem dortigen Pfarrer fand man nach der Befreiung 120 Leichen, ­PartisanInnen und ZivilistInnen, von denen etliche Folterspuren aufwiesen.