Giacomo „Willi“ Notari (Jg. 1927) war Partisan in einer kommunistischen Garibaldi-Einheit
Giacomo Notari: Ich war 17, als ich zu den Partisanen ging. Ich ging während des Faschismus zur Schule, komme aus einem Bergdorf im Apennin, aus einer katholisch geprägten Familie. Nur ein Onkel von mir war Antifaschist, aber darüber wurde nicht mit uns Jungen diskutiert. Insofern hatte ich keine politische Vorbildung. Wir lebten in ganz ärmlichen Verhältnissen, wir erwirtschafteten gerade so viel, dass es zum Überleben reichte. Unsere faschistische Regierung ging zwar in Nordafrika Länder besetzen und führte in Spanien Krieg, aber in unseren Dörfern gab es nicht einmal fließend Wasser oder Elektrizität.
Mit der deutschen Besatzung ab 1943 wurde alles noch schlimmer. Es wurden Leute aus unseren abgelegenen Bergdörfern deportiert und es gab Massaker an Zivilisten mit vielen Toten. Viele in meinem Alter empfanden das als himmelschreiende Ungerechtigkeit und letztlich musste man eine Entscheidung fällen: Setzte man sich zur Wehr und versuchte diesen Krieg zu bekämpfen oder zog man wieder für die Faschisten, die mit den Deutschen kollaborierten, in den Krieg.
Eine kleine Partisanengruppe verminte die Brücke, die zu unserem Dorf führte, um deutsche Truppentransporte zu behindern. Dadurch kam ich in Kontakt mit der Resistenza. Unsere Motivation war nicht nur gegen die Deutschen zu kämpfen, sondern den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. In den Partisaneneinheiten haben wir uns schon bald einen Kopf darüber gemacht, was nach dem Krieg werden soll. Wir wollten ein anderes Land aufbauen, das niemandem mehr den Krieg erklärt, in dem die Dörfer Wasser und Licht haben und die Kinder zur Schule gehen können. Wir wollten die Monarchie abschaffen und eine demokratische Republik errichten, in der Frauen auch wählen dürfen und nicht nur Kinder für den Krieg gebären.
Die Partisaneneinheiten waren am Anfang sehr kleine Gruppen, zuerst fast ausschließlich Männer. Trotzdem hat es immer eine Organisationsstruktur und auch Regeln gegeben. Diese wurden allerdings nicht einfach von oben vorgeschrieben, sondern wurden diskutiert. Es gab immer einen demokratischen Umgang zwischen den einzelnen Partisanen und den einzelnen Kommandanten. Und dann gab es den politischen Kommissar. Dieser war absolut keine militaristisch-hierarchische Figur, sondern er gab Politikunterricht. Es wurde nicht nur über den Kampf gesprochen, sondern auch: Wofür wir eigentlich kämpfen? Was wir nach dem Krieg in Italien verändern wollen? Insofern wird der militärische Faktor oft überbewertet. Und wir haben fast alle 1945 die Waffen abgegeben. Damit war aber unser Engagement nicht zu Ende. Ich bin wie viele ehemalige Partisanen lange Jahre Bürgermeister und Kreisrat gewesen.
Im Laufe des Krieges haben uns die Engländer und die Amerikaner massiv mit Waffen unterstützt, so dass wir durchaus zu ernst zu nehmenden militärischen Gegnern wurden. Ein Erfolg unserer Bewegung waren die Partisanenrepubliken: Sieben, acht Gemeinden, die ein zusammenhängendes befreites Gebiet bildeten. Wichtig für die Republiken war der zivile Aspekt. Nach 20 Jahren Diktatur gab es Wahlen, Lebensmittel und Medikamente wurden gerecht verteilt, Schulen für die Kinder organisiert. Dies war eigentlich die Hauptbotschaft, die diese Partisanenrepubliken verbreiteten. Hier wurde schon in kleinem Rahmen die Demokratie ausprobiert, die erst 1946 in Italien eingeführt wurde.
Aber auf dem Weg dahin gab es natürlich Schwierigkeiten. Es hat Vergeltungsmaßnahmen gegeben, das heißt wir wussten und es wurde uns auch eingebläut, dass auf unsere Aktionen mit der Tötung von Zivilbevölkerung geantwortet wurde. Das bringt einen Widerstandskämpfer natürlich in eine schwierige Situation. Blinder Aktivismus war da fehl am Platz. Nach den Massakern in Cervarolo, in Marzabotto und anderen Dörfern war es schwierig die Deutschen anzugreifen. Zum Beispiel holten wir einmal in meinem Dorf Brot. Während wir warteten, kamen Deutsche, die Lebensmittel für ihre Truppen beschlagnahmten. Wir haben uns auf dem Dachboden versteckt, von wo aus wir die Deutschen hätten erschießen können. Sie haben alles Brot, eine Fuhre Heu und ein Rind mitgenommen. Doch wenn wir diese Soldaten erschossen hätten, hätten andere Deutsche alle im Dorf umgebracht. So haben wir sie mit dem Brot ziehen lassen. Und mein Vater hat neues gebacken – aber wir haben ein Massaker im Dorf verhindert.
Im April 1945 ging endlich die Offensive der Alliierten los. Es gab eine große Schlacht um ein Pumpspeicherwerk in Ligonchio. Dieses Elektrizitätswerk versorgte den gesamten Gebirgsraum der Region Reggio Emilia mit Strom. Die deutschen Truppen unternahmen mehrere Versuche dieses Werk in die Luft zu sprengen. Unsere Partisaneneinheiten haben es mehrere Tage verteidigt weil es bedeutet hätte, dass wir hier oben in den nächsten Monaten oder gar Jahren keinen Strom gehabt hätten.
Heike Demmel
Videointerviews mit Giacomo Notari im European Resistance Archive
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