Sant`Anna – Ermittlungen in Deutschland

Interview mit der Staatsanwältin und Pressesprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft

„Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit Oktober 2002 im Zusammenhang mit der Ermordung von Einwohnern des Dorfes Sant’Anna di Stazzema in Italien. Das Ermittlungsverfahren ist derzeit noch offen.“

Zehn mal lebenslänglich hieß letzte Woche Mittwoch das Urteil gegen ehemalige SS-Angehörige. Gefällt von der Militärstaatsanwaltschaft von La Spezia in Italien. Es ging um das Massaker in Sant`Anna di Stazzema vom August 1944. Damals hatten deutsche SS-Einheiten das Dorf umstellt und 560 BewohnerInnen ermordet.

Ermittlungen gegen die ehemaligen SSler laufen auch in Deutschland bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Dort äußerte man sich abfällig über das Urteil der italienischen KollegInnen. Als „schnellen Schuss aus der Hüfte“ bezeichnete es der dortige Staatsanwalt Gernot Blessing, die Richter hätten sich zehn SS-Schergen „herausgepickt“, die in der Einheit Dienst taten, und pauschal verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat aber auch immer wieder gesagt, sie müsste vor einer eigenen Anklage das Ergebnis des Prozesses in Italien abwarten, sie sei aber am ermitteln.
Nun steht das Urteil in Italien: lebenslänglich für alle 10 Angeklagten. Doch reale Konsequenzen hat das für sie nicht, sie müssen kaum damit rechnen nach Italien ausgeliefert zu werden. Deshalb sind die Ermittlungen in Stuttgart um so wichtiger. Doch was ihre momentanen Ermittlungen und eine mögliche Anklage angeht, darüber hält sich die Staatsanwältin und Pressesprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft Tomke Beddies weiter bedeckt.

Welche Ermittlungen laufen wegen der Morde in Sant’Anna die Stazzema in Stuttgart?

Tomke Beddies: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt seit Oktober 2002 im Zusammenhang mit der Ermordung von Einwohnern des Dorfes Sant’Anna di Stazzema in Italien. Das Ermittlungsverfahren ist derzeit noch offen. Eine Prognose über den Ausgang der Ermittlungen und den Zeitpunkt können wir derzeit nicht machen.

Wie ist der Ermittlungsstand und wie viele Angeklagte zeichnen sich schon ab?

Tomke Beddies: Wir ermitteln gegen eine im unteren zweistelligen Bereich liegende Zahl von Beschuldigten und wir haben im Rahmen unserer Ermittlungen die Überlebenden vernommen. Wir haben auch sehr viele Einheitsangehörige vernommen. Wir sind derzeit dabei, die einzelnen Tatbeiträge der von uns identifizierten Tatbeteiligten zu klären, insbesondere festzustellen, ob ihnen so genannte Mordmerkmale nachgewiesen werden können.

Jetzt gab es kürzlich ein Urteil in Italien gegen Angehörige der SS-Panzergrenadierdivision. Sie meinten jetzt, eine Anklageerhebung bei Ihnen ist noch nicht abzusehen. Weshalb?

Tomke Beddies: Nach dem deutschen Recht ist es erforderlich, dass jedem Tatbeteiligten nachgewiesen wird, dass er mit so genannten Mordmerkmalen gehandelt hat. In Betracht kommen hier zum einen die Grausamkeit beziehungsweise die niedrigen Beweggründe. Das heißt, wir müssen jedem einzelnen Tatbeteiligten nachweisen, dass er entweder einen eigenen Handlungsspielraum hatte und nicht nur bloßer Befehlsempfänger war. Oder aber dass er bewusst eine andere Art zu handeln außer Acht gelassen hat beziehungsweise es ihm bewusst war, dass es eine andere Art zu handeln gegeben hat, die außer Acht gelassen worden ist von anderen. Diese Schwierigkeiten oder diese Feststellungen sind sehr schwierig in Anbetracht des Zeitablaufes zu treffen und deshalb laufen die Ermittlungen in Deutschland noch.

Weshalb war es dann möglich in Italien ein Urteil zu fällen und in Deutschland noch nicht?

Tomke Beddies: Das sind Einzelheiten zum italienischen Prozess und zum italienischen Recht zu dem ich keine Auskunft geben kann.

Sie sagten ja auch, dass es um die Mordanklage ginge. Nur bei einem solchen Vorwurf ist es ja möglich, die Täter noch zu verurteilen. Für Mord muss besondere Grausamkeit vorliegen. ZeugInnen berichten zum Beispiel von einer schwangeren Frau, der der Bauch aufgeschlitzt worden war und von Frauen, die vergewaltigt worden waren sowie von Menschen, die mit Flammenwerfern getötet wurden. „Reicht“ das nicht?

Tomke Beddies: Im Rahmen des Mordmerkmals der Grausamkeit ist zum einen nachzuweisen, dass eine entsprechend grausame Begehungsweise vorliegt und zum anderen nachzuweisen, dass dem jeweilig Beteiligten bewusst war, dass es eine andere Form der Beteiligung gegeben hätte, die bewusst außer Acht gelassen wurde. Das ist die obergerichtliche Rechtsprechung und dieses gilt es nachzuweisen, wenn von einem hinreichenden Verdacht im Hinblick auf das Mordmerkmal der Grausamkeit gesprochen werden soll und damit sind wir im Rahmen unserer Ermittlungen derzeit beschäftigt.

Ihr Kollege von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Herr Blessing, hat ja auch gemeint, die individuelle Beteiligung und Tathandlung sei wichtig für das deutsche Urteil, und auch wer überhaupt in der Einheit und zum Tatzeitpunkt vor Ort war. Aber ist nicht klar, wer vor Ort war? Es war nämlich die SS-Panzergrenadierdivision Reichsführer SS und bei solch einer militärischen Einheit ist doch auch klar, wer in der Hirarchie ganz oben stand und wer die Befehle gab.

Tomke Beddies: Es ist im einzelnen festzustellen, wer von den beteiligten Einheiten vor Ort war, wer in welcher Form wie gehandelt hat. Ob er jeweils Befehlsempfänger war, ob er eigenen Handlungsspielraum hatte. Das ist wichtig für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, wenn dieses nachgewiesen werden soll. Es ist, um es kurz zusammengefasst zu sagen, für jeden einzelnen, den wir als Tatbeteiligten haben identifizieren können nachzuweisen, wie er wann konkret gehandelt hat un ob er hätte anders handeln können.

Ein ehemaliger SS-Mann hat aber mittlerweile zugegeben, auf eine Gruppe von 20 bis 25 Frauen und Kinder geschossen zu haben „bis der Patronengurt leer war“. Andere berufen sich darauf, dass es eine Aktion gegen PatisanInnen gewesen war. Das heißt, sie geben damit zu, vor Ort gewesen und daran beteiligt gewesen sein zu.

Tomke Beddies: Ich kann ihnen dazu keine näheren Angaben machen als diese, die ich jetzt mehrfach ausgeführt habe. Jedem Beteiligten ist seine konkrete Art der Beteiligung nachzuweisen und jedem Beteiligten ist nachzuweisen, ob er mit so genannten Mordmerkmalen gehandelt hat. Andernfalls liegt ein hinreichender Tatverdacht, der zur Anklageerhebung berechtigt, nicht vor.

Der eine Verdächtigte hat aber doch Geständnis abgelegt. Bei ihm ist ein solcher Tatverdacht doch gegeben. Aber sie warten jetzt noch weiter ab, bis sie weitere Angaben haben?

Tomke Beddies: Wir warten nicht weiter ab, sondern wir stellen bei jedem einzelnen Beteiligten fest, ob er mit so genannten Mordmerkmalen gehandelt hat oder nicht.

Überlebende und Opfer des Massakers von Sant’Anna di Stazzema sind jetzt auch in Stuttgart als NebenklägerInnen aufgetreten. Was hat das für Konsequenzen auf die Ermittlungen?

Tomke Beddies: In Stuttgart ist niemand als Nebenkläger aufgetreten. Die Ermittlungen in Stuttgart dauern noch an. Wir sind noch in unseren Ermittlungen, in unseren Feststellungen.

Es sollte jetzt dieser Tage von den Angehörigen und Überlebenden aus Italien die Nebenklage eingereicht werden. Das ist bei ihnen noch nicht eingetroffen?

Tomke Beddies: Fragen zum italienischen Prozess kann ich ihnen leider nicht beantworten.

Nein, nein. Die Überlebenden und Angehörigen dieses Massakers wollten in Stuttgart als NebenklägerInnen auftreten.

Tomke Beddies: Mir ist nicht bekannt, dass im Stuttgarter Ermittlungsverfahren irgendjemand geäußert hat, als Nebenkläger auftreten zu wollen.

Ihr Kollege Herr Blessing hat auch gemeint, dass viele, gegen die ermittelt wird, mittlerweile sehr alt seien und dass es schwierig sein wird, überhaupt noch den Prozess zu eröffnen. Aber man kann doch nicht sagen, wir haben über 60 Jahre lang nichts getan und jetzt sind sie zu alt?

Tomke Beddies: Die Tatbeteiligten sind alle um die 80 Jahre alt. Wie alt sie sein werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sein werden und in welcher Form die Ermittlungen abgeschlossen werden, dazu kann ich derzeit noch nichts sagen.

Interview: Maike Dimar, geführt am 27.6.2005