Kommentar einer Beobachterin über den Prozess in La Spezia
Den Urteilen folgt spontaner Applaus, Tränen der Entspannung, Tränen der Erinnerung an das schreckliche Ende der Ermordeten. Bewegende Szenen innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals.
Über 7 Stunden hatten die Überlebenden des Massakers von Sant Anna di Stazzema auf die Urteile an diesem Mittwoch, den 22. Juni 2005, gewartet. Sie hatten Verurteilungen erhofft, Freisprüche befürchtet. Ihre Gesichter sind von Anspannung gekennzeichnet, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt.
Dann endlich, um 19.40 Uhr verliest der Präsident des Militärgerichts von La Spezia die Urteile: Gerhard Sommer, schuldig der Beteiligung am fortgesetzten Mord, begangen mit besonderer Grausamkeit. Die Strafe: lebenslänglich.
Das gleiche Urteil, die gleiche Strafe für Alfred Schöneberg, Ludwig Heinrich Sonntag, Alfred Concina, Karl Gropler, Horst Richter, Ludwig Göring, Werner Bruss, Georg Rauch, Heinrich Schendel.
Die Verurteilten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Einige von ihnen müssen außerdem Entschädigungen an private Nebenkläger bezahlen.
Den Urteilen folgt spontaner Applaus, Tränen der Entspannung, Tränen der Erinnerung an das schreckliche Ende der Ermordeten. Bewegende Szenen innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals. Die Zufriedenheit mit den Urteilen macht nicht vergessen, dass sie jetzt, 61 Jahre nach dem Massaker, viel zu spät kommen und viel zu viele der Mörder nie zur Rechenschaft gezogen wurden.
Die Mörder von Sant Anna di Stazzema: Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“. Am Morgen des 12. August 1944 steigen 4 Kompanien in das abgelegene Bergdorf Sant Anna auf und massakrieren jede Menschenseele, die sie antreffen: vor allem Kinder, Frauen, alte Männer (die jüngeren Männer sind nicht im Dorf). Sie verbrennen die Leichen und die Häuser. 560 Tote, ein ausgelöschtes Dorf. Nur wenige Einwohner haben das Morden überlebt, viele von ihnen mussten mit ansehen, wie die Mutter, die Geschwister umgebracht wurden. Sie wurden ein Leben lang von diesen Bildern verfolgt. Vielleicht helfen ihnen diese Urteile, die Traumatisierung abzumildern. Die Verurteilung wenigstens einiger der Täter ist für sie die gesellschaftliche Anerkennung ihres Leids und ein öffentliches Gedenken an ihre getöteten Angehörigen, eine späte Erinnerung und eine späte – wenn auch eher moralische – Sühne.
Wie geht es weiter? Die Urteile könnten in Italien oder in der BRD vollstreckt werden. Wenn die deutschen Behörden einem Auslieferungsantrag Italiens folgen würden, hätten die Verurteilten ihre Strafe als Hausarrest „abzusitzen“. Damit ist aber nicht zu rechnen, denn die BRD liefert bekanntlich ihre Bürger nicht aus.
Beginnt nun ein Prozess auch in der BRD? Im Stuttgarter Gericht bzw. bei der dortigen Staatsanwaltschaft liegen alle Akten vor, die in La Spezia zu diesen Urteilen geführt haben. Es wurde aber bisher noch keine Anklage erhoben. Warum nicht? Diese Frage sollte die deutsche Öffentlichkeit stellen, damit ein Prozess in absehbarer Zeit stattfindet und nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wird.
Die Überlebenden von Sant Anna wollen sich auch nicht mit schönen Worten seitens deutscher Politiker zufrieden geben. Sie fordern von der BRD als Entschädigung einen deutlichen finanziellen Beitrag zur strukturellen Ausgestaltung ihres Friedensparks, der eine Friedensschule und ein Tagungszentrum als internationale Begegnungsstätten enthalten soll.
Wir wissen, dass die BRD-Regierungen bisher derartige Entschädigungen abgelehnt hat. Dabei darf es nicht bleiben: Jetzt: Die Opfer entschädigen – die Täter bestrafen!
Marianne Wienemann
In La Spezia wurden zu lebenslanger Haft verurteilt:
Gerhard Sommer
SS-Untersturmführer, Jg. 1921, wohnt in Hamburg-Volksdorf
Werner Bruss
Unteroffizier, Jg. 1920
Alfred Mathias Concina
Unterscharführer,
Jg. 1919, wohnt in Freiberg/Sachsen
Ludwig Göring
(teilweise als ‚Goring‘ benannt)
SS-Rottenführer, Jg. 1923, wohnt angeblich in Baden-Württemberg
Karl Gropler
Unterscharführer,
Jg. 1923, wohnt laut ital. Presse in Wollin
Georg Rauch
Unterleutnant, Jg. 1921
Horst Richter
Unterscharführer, Jg. 1921, wohnt laut ital. Presse in Krefeld
Heinrich Schendel
Unteroffizier, Jg. 1922
Alfred Schöneberg
SS-Unterscharführer, Jg. 1921
Ludwig Heinrich Sonntag (auch als ‚Heinz Ludwig Sonntag‘ benannt, oder ohne ‚Heinrich‘),
SS-Unterscharführer, Jg. 1924