Massaker wurden generalstabsmäßig vorbereitet
Am 26. Juni 2009 sind vom Militärgericht in Rom neun Angehörige der 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer-SS“ zu lebenslanger Haft wegen mehrfachen, besonders schweren Mordes verurteilt worden. Das Gericht befand die neun Männer für schuldig, 1944 Massaker in verschiedenen Ortschaften der Gemeinde Fivizzano in der Provinz Massa/Carrara, Italien begangen zu haben. Die Verurteilten müssen die Prozesskosten tragen und Entschädigungen an die zivilen Nebenkläger zahlen.
Die Gemeinde Fivizzano umfasst eine Vielzahl von kleinen Ortschaften im nördlichen Teil der Alpi Apuane und der Lunigiana. Ortschaften, von denen einzelne sehr abgelegen sind, wie Vinca zum Beispiel.
Aber nicht abgelegen genug, um nicht von der 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung, einer Truppe unter dem Kommando des SS-Sturmbannführers Walter Reder, heimgesucht zu werden. Über 350 Menschen, wurden von den SS-Soldaten in der zweiten Augusthälfte und Anfang September 1944 ermordet, alle Zivilisten: Frauen, Kinder und vor allem ältere Männer. Bei einigen dieser Massaker wurden die deutschen Soldaten von italienischen faschistischen Einheiten der „Schwarzen Brigaden“ unterstützt.
Im ganzen Gebiet der Alpi Apuane und deren Umfeld operierten vom Herbst 1943 bis zur Befreiung 1945 starke Partisanengruppen. Ihre Aktivitäten störten und gefährdeten in erheblichem Maße den Bau und die Sicherung der Gotenlinie, die den letzten Befestigungswalls der deutschen Truppen gegen die aus Süden heran rückenden Alliierten bildete. Sabotageaktionen an Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien gefährdeten die deutschen Nachschubwege, die ja auch als spätere Rückzugswege dienen mussten. In dieser Situation wurde die 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung eigens eingesetzt, um diese „Banden“ (=sprich Partisanen) unschädlich zu machen. Sie hatte diese Aufgabe bereits an der Ostfront ausgeübt und sich durch besondere Grausamkeit ausgezeichnet.
Das Massaker in Bardine San Terenzo am 19.08.1944
Am Morgen des 17. August kommt es in der Gegend von Bardine San Terenzo (am westlichen Ende der Gotenlinie) zu einem Gefecht zwischen Partisanen und deutschen Truppen. 16 deutsche Soldaten fallen während des Schusswechsels, einer wird schwer verletzt und stirbt später. Auf der Seite der Partisanen wird einer getötet, zwei Partisanen verletzt. Am Nachmittag des gleichen Tages kommen deutsche Soldaten, um die Toten und den Verletzten ihrer Einheit zu bergen. Sie zerstören dabei zahlreiche Häuser des Dorfes und erschießen zwei Einwohner. Viele Einwohner verlassen daraufhin Bardine und das nahe gelegenen Dorf San Terenzo Monti, da sie weitere Racheaktionen der deutschen Truppen fürchteten.
Die Rächer kommen zwei Tage später am Morgen des 19. August. An diesem Tag erreicht Reder mit seiner 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung den Ort des Geschehens. Diese hatte erst wenige Tage zuvor, am 12.08.1944, in der Ortschaft Sant’ Anna, nur einige Kilometer entfernt, ein Massaker an Zivilisten verübt und Männer als potentielle Zwangsarbeiter gefangen genommen.
Von den Gefangenen werden 53 an die von den Partisanen zerstörten deutschen Militär-LKW’s, an Bäume und Pfähle gefesselt. Als Fesseln wird Stacheldraht benutzt, der um den Hals der Gefangenen gelegt wird. Dann schießen die deutschen Soldaten den Opfern in die Beine und Füße, so dass diese langsam und qualvoll vom Stacheldraht erdrosselt werden. Eine Tötungsmethode, die später auch in anderen Orten, z.B. in Casalecchio nahe Bologna angewandt wurde.
Das Massaker in Valla/San Terenzo Monti am 19.08.1944
Aber an diesem 19. August ist das Morden durch die 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung und ihre Kameraden noch nicht zu Ende. Die deutschen Soldaten kreisen das Gebiet um San Terenzo Monti ein und durchkämmen es systematisch. So stoßen sie denn am späten Vormittag auch im Ortsteil Valla auf eine große Gruppe von Frauen, Kindern und alten Männern, die sich in einem Bauernhof außerhalb des Dorfes versteckt halten. Sie werden aus den Gebäuden auf einen Vorplatz getrieben und dort mit Maschinengewehren erschossen. Einer Frau gelingt noch rechtzeitig die Flucht mit ihrer Tochter, ein 7-jähriges Mädchen überlebt, indem sie sich schwer verletzt tot stellt und so auch dem Gnadenschuss entgeht. So bleiben in Valla 103 Tote zurück. Im Ort selber wird der Pfarrer der Gemeinde erschossen, weil man ihn der Kollaboration mit den Partisanen verdächtigt.
Während diese Menschen sterben, sitzt Walter Reder mit Offizieren und Unteroffizieren in der dörflichen Trattoria beim Mittagessen. Der Wirt ist gezwungen worden, die Deutschen zu bedienen. Er weiß in diesem Moment noch nicht, dass während die Deutschen bei ihm essen, seine Frau und seine 5 Kinder in Valla von Reders Männer auf dessen Befehl hin erschossen werden.
Das Massaker in Vinca vom 24.-27. August 1944
Vinca ist auch heute noch nur durch eine enge, kurvige Gebirgsstraße, die an einem Bergbach entlang verläuft, zu erreichen. Im Ort endet diese Straße, es geht nicht weiter, sondern nur auf dem gleichen Weg zurück. Die Alpi Apuane türmen sich himmelhoch über dem Dorf auf, ein kleines Dorf, ein weitgehend verlassenes Dorf. Es könnte ein idyllisches Dorf sein, wenn es nicht diese Tage im Sommer 1944 gegeben hätte und die Trauer über 174 ermordete Einwohner nicht bis heute auf dem Dorf lasten würde.
Das Massaker, militärisch als Durchkämmungsaktion gegen Partisanen bezeichnet, wurde generalstabsmäßig vorbereitet, mit dem Ziel, in dem Dorf Vinca und im Gebiet ringsum nur noch verbrannte Erde zu hinterlassen. Beteiligt waren an diesem Massaker neben der 16. SS-Panzer-Aufklärungsabteilung etwa 100 Milizen der faschistischen italienischen „Schwarzen Brigaden“ aus Carrara unter dem Kommando von Giulio Lodovico.
Bereits auf dem Weg nach Vinca töteten die Soldaten jeden Menschen, den sie antrafen, brannten Häuser nieder und zerstörten Kirchen. Seinen Höhepunkt erreichte das Massaker in Vinca: die Bewohner wurden mit Gewehren, Handgranaten, Maschinengewehren, Bajonetten und Flammenwerfern nieder gemetzelt, manche von ihnen auf grausame Weise zu Tode gequält. Die Häuser wurden zerstört und verbrannt, alles was irgendwie einen Wert hatte, geplündert.
Einigen Bewohnern war die Flucht in die Berge gelungen. Als sie in ihr Dorf zurückkehrten, rechnet sie nicht damit, dass die Mörder wiederkommen würden. Dies geschah jedoch am nächsten Tag. Insgesamt dauerte das Massaker in Vinca 4 Tage lang. Am Ende fanden die Überlebenden ein Dorf voller Leichen und rauchender Ruinen.
Opfer von Kriegsverbrechen in anderen Ortsteilen von Fivizzano
Die oben aufgeführten Massaker sind nur die größten. In anderen Ortsteilen der Gemeinde Fivizzano wurden ebenfalls Zivilisten von deutschen Soldaten ermordet: Insgesamt verloren etwa 400 Einwohner in der Gemeinde durch deutsche Kriegsverbrechen ihr Leben. Dank der aktuellen Prozesse kommen jetzt auch diese weniger bekannten Massaker ans Licht der Öffentlichkeit.
Frühere Prozesse zu den Massakern
Walter Reder wurde 1951 in einem Prozess wegen seiner Verantwortung für die erwähnten Massaker (und weitere andere) zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Jahre 1985 wurde er auf Intervention der österreichischen Regierung vom damaligen italienischen Regierungschef Craxi aus der Haft entlassen. Zuvor hatte sich die Bevölkerung von Marzabotto in einer offiziellen Befragung mehrheitlich gegen eine Begnadigung Reders ausgesprochen. In der Gegend dieses Ortes in der Nähe von Bologna hatten Reder und seine Truppe mit 770 Toten im Herbst 1944 das größte Massaker in Italien, aber auch in ganz Westeuropa, angerichtet.
1950 gab es in Perugia einen Prozess gegen 64 Mitglieder der „Schwarzen Brigaden“ wegen ihrer Beteiligung an dem Massager in Vinca. Unter den am 21. März 1950 gefällten Urteilen lauteten 11 auf lebenslängliche Haft, 2 auf 30- jährige Haft. Diese Strafen wurde aber in der Folgezeit aufgrund der 1946 erlassenen Amnestie für faschistische Straftaten stark reduziert.
Marianne Wienemann, Vezzano sul Crostolo (RE), 01.07.2009