Roberto Torelli – Zwangsarbeit in einer mittelfränkischen Munitionsfabrik
Roberto Torelli wurde bei der Operation „Wallenstein“, einer großangelegten Durchkämmungsaktion gegen Partisanen und zur Gefangennahme von Zwangsarbeitern, „vom Feld weg“ verhaftet und nach Deutschland deportiert.
Roberto Torelli: Ich bin Jahrgang 1927. Wenn man in dieser Zeit geboren wurde und zur Schule ging, war es schwierig ein antifaschistisches Bewusstsein zu entwickeln. Ich habe die italienische Balilla-Jugend mitgemacht, das entspricht etwa der Hitlerjugend. Dort wurde mir was geboten, deren Freizeitangebot nahm ich gerne an, denn ich komme aus einer sehr armen Familie. Mein Vater emigrierte in den 30er Jahren als Arbeiter nach Deutschland, kehrte aber wegen seiner Gesichtslähmung Anfang der 40er Jahre zurück. Er war politisch nicht sehr interessiert und hatte nichts gegen meine Aktivitäten bei der Balilla-Jugend.
Mit 17 Jahren arbeitete ich gegen Verpflegung auf einem Bauernhof im Apennin. Am 6. August 1944 kamen deutsche Soldaten und befahlen: „Schuhe anziehen und mitkommen“. Ich war barfuß, denn bei der Arbeit wollte man sich nicht die guten Schuhe ruinieren. In Unterhemd und kurzer Hose wurde ich mitgenommen. Die Deutschen schleppten uns dann von Bauernhof zu Bauernhof und zwangen uns, ein Drittel des Viehbestands einzusammeln. Unsere Gruppe wurde schließlich getrennt, die politischen Leute wurden nach Fossoli und wir unpolitische Jungs nach Verona in eine Kaserne gebracht. Ein Woche später sperrten sie uns in Viehwagons. Ich erinnere mich noch an die Schilder an den Türen: „Acht Pferde oder 40 Männer“. So standen wir zu vierzigst im Viehwagon und bekamen einen Ballon mit 30 Litern Wasser für drei Tage Eisenbahnfahrt. Ich hatte ein kleines Anspitzermesserchen für Bleistifte dabei. Da kam mir die Idee, eines der Bretter im Fußboden durchzusägen, nach unten zu gleiten und den Zug über mich hinweg fahren zu lassen. Die Bodenbretter waren sehr dick. Niemand hat mir geholfen, niemand hat daran geglaubt, dass man dieses Brett mit so einem Messerchen durchschneiden könne. Meine Hände bluteten, aber ich schaffte es. Als ich den Kopf rausstreckte, sah ich am Ende des Konvois die Anhängerkupplung baumeln, die mich erschlagen hätte. So gab ich meinen Fluchtversuch auf.
Ich wurde in eine große Kaserne nach Wiesbaden gebracht. Dort wurden auch Italiener ausgebildet, die sich dem deutschen Militär anschlossen, um nicht Zwangsarbeit leisten zu müssen. Für Kollaborateure gab es dort Toiletten, für die anderen nur ein großes Erdloch mit Baumstamm.
Die gefangenen italienischen Soldaten wurden ein wenig besser behandelt als wir Zivilisten. Die Deutschen hofften, dass sie sich doch noch zum Militärdienst bereit erklären würden.
Roberto Torelli und eine Postkarte aus Gunzenhausen an seine Mutter
Danach kam ich mit 120 anderen nach Berlin. Wir mussten nach Bombenangriffen die „Krümel“ auflesen: Eisenteile von zerstörten Fabriken einsammeln, die dann wohl wieder verwertet werden sollten. Dann wurde ich in das Lager einer Munitionsfabrik in Langlau bei Gunzenhausen (Mittelfranken) gebracht. 225 ZwangsarbeiterInnen arbeiteten dort. Etwa 150 Frauen aus der Ukraine und 75 Italiener. Daneben gab es viele einheimische Arbeitskräfte aus der ganzen Umgebung.
Wir wurden hauptsächlich zum Be- und Entladen von Munitionstransporten eingesetzt. Es war eine sehr große Anlage, ca. 80 Bunker mit Eisenbahnanbindung in einem Waldstück. Fast jede Nacht verließen Munitionstransporte die Fabrik. In der Regel mussten wir 10-12 Stunden pro Tag arbeiten, außer am Sonntag. Normalerweise kommandierten uns ältere und auch invalide zivile Vorarbeiter. Aber manchmal befehligten uns auch Luftwaffensoldaten: Wenn die Eisenbahn bombardiert wurde, mussten wir die Munition auf Lastwagen verladen, die oben deutlich mit einem Roten Kreuz gekennzeichnet waren. Noch vor Tagesanbruch mussten die 30-40 Rot-Kreuz-LKW´s den Ort verlassen haben, damit sie nicht so leicht mit der Munitionsfabrik in Verbindung gebracht werden konnten.
Die hygienischen Bedingung waren miserabel. Die Schlafbaracken und die Wagons, aus denen wir das Schießpulver ausladen mussten, waren voller Ungeziefer. Wir durften nur einmal in der Woche duschen. Für 75 Leute gab es nur fünf Duschen. Da waren wir untereinander nicht immer solidarisch und haben uns auch schlecht behandelt.
Ostern 1945 mussten wir zusammen mit einer deutschen Sprengmeistereinheit das ganze Gelände verminen. Ein paar Tage später traten alle Zwangsarbeiter unter deutscher Bewachung den Evakuierungsmarsch an. Aus der Ferne hörten wir ein Erdbeben – das waren unsere 80 Bunker, die nun in die Luft flogen.
Wir schliefen unter Bäumen und Brücken. Unsere Bewachung war der Übersetzer aus dem Lager – ein noch rüstiger 80-jähriger Mann aus dem Friaul, der Italiener hasste. Irgendwer hatte schon alliierte Panzer gesehen. Der alte Mann bekam Angst und wollte nicht mehr weiter: „Die älteren bleiben besser mit mir hier und die jüngeren, die Rachegedanken haben, gehen alleine weiter.“ 60 Deportiere und ich gingen. Unsere Strategie war, uns nicht wie ein Haufen zu bewegen, sondern kolonnenartig tagsüber auf der Straße zu gehen. Kamen uns Deutsche entgegen, sagten wir, dass wir nur zum nächsten Ort unterwegs sind, dessen Namen ich auch immer nennen konnte. Das hat auch funktioniert, ein bisschen, weil wir uns eine Form gaben, und natürlich auch, weil sich die Deutschen inzwischen völlig im Auflösungsprozess befanden. Am 1. Mai überquerte ich den Brenner. Es fielen riesige Schneeflocken und die Deutschen dachten nur noch daran wegzukommen.