Francesco Pirini, ein Überlebender von Marzabotto, erinnert sich
„Ich versteckte mich auch diesmal in einem Waldstück, von dem aus ich Cerpiano sehen konnte. Ungefähr 16 Soldaten der SS waren angekommen. Sie hatten die älteren Männer, Frauen und Kinder in unser Kirchlein getrieben. …“
Francesco Pirini: Am 29. September 1944 bekamen wir in Cerpiano mit, dass es eine deutsche Durchkämmungsaktion gab. Meine Mutter hat mich fortgeschickt. Mit 17 Jahren befand ich mich im „Risikoalter“ zum Militär eingezogen zu werden. Es war schon häufiger vorgekommen, dass die Deutschen hierher kamen und Häuser ansteckten oder jemanden suchten.
Ich versteckte mich auch diesmal in einem Waldstück, von dem aus ich Cerpiano sehen konnte. Um beobachten zu können, was dort vor sich ging, legte ich mich in unmittelbarer Nähe flach auf den Waldboden.
Ungefähr 16 Soldaten der SS waren angekommen. Sie hatten die älteren Männer, Frauen und Kinder in unser Kirchlein getrieben. Dann folgte eine Explosion. Ich hörte Schreie und Stöhnen aus dem Inneren der Kirche, das nach und nach abflachte und schließlich aufhörte. Plötzlich wurde versucht, die Tür von innen zu öffnen. Ein älterer Mann kam raus. Er wurde jedoch von zwei Soldaten sofort niedergeschossen.
Diese Ereignisse habe ich selbst beobachtet, andere wurden mir von den Überlebenden erzählt.
Meine Schwester war mit unserem Cousin und anderen Jugendlichen in die Pfarrkirche nach Casaglia gegangen. Als sie ankamen, war die Kirche bereits mit ca. 90 Personen gefüllt. Die Soldaten trieben die Leute dann zum Friedhof, wo die gesamte Gruppe mit Maschinengewehren beschossen wurde. Meine Schwester bekam einen Schuss in ihr Hüftgelenk. Sie knickte ein und fiel, starb aber nicht an der Verletzung. Sie blieb verletzt auf der Erde liegen und die anderen fielen tot auf sie. Das war am 29. September 1944, einem Freitagvormittag. Sie blieb dort bis zum Samstagnachmittag liegen, als ein Bauer aus der Gegend kam, der verzweifelt seine Familie suchte. Er fand seine Angehörigen tot unter dem Berg von Leichen. Er hörte meine verletzte Schwester und befreite sie. Trotz des Steckschusses machte sie sich in Richtung Cerpiano auf. Sie wollte nach Hause gehen, um zu sehen, was mit den anderen geschehen war. Auf ihrem Weg sah sie in einiger Entfernung deutsche Soldaten. Da sie offensichtlich auf sie schießen wollten, ließ sie sich in einen Straßengraben die Böschung herunterfallen. Somit entging sie den Schüssen. Im Graben stieß sie auf drei andere Frauen, die sich dort bereits versteckt hielten. Vorerst blieben sie zusammen. Die Frauen behandelten ihre Wunde durch Waschungen mit eigenem Urin und brachten ihr bei, wie man Wunden desinfiziert.
Nach ein paar Tagen kamen alle aus ihrem Versteck. Sie suchten nach ihren Familien und fanden Leichenberge. Sie setzten die Toten in einem Massengrab bei.
In Cerpiano war das große Steinhaus nicht zerstört worden. Aus diesem Grunde fanden sich die Überlebenden hier ein. Plötzlich tauchten Reder und seine Leute wieder auf, die alle im Haus in den Keller einsperrten. Sie benutzten die Küche, wärmten sich an dem brennenden Ofen und fingen an, die Frauen zu mustern. Ein Onkel von mir war einer der Überlebenden. Er hatte seine Frau und sechs Kinder die Woche zuvor verloren. Er bemerkte die seltsame Musterung und versteckte ein Mädchen mit meiner Schwester unter einem umgedrehten Holzkübel. Dadurch entgingen die beiden dem Schicksal der anderen Frauen. Kurz darauf wurden alle, einschließlich einer Ordensschwester, von Reder und seinen Soldaten vergewaltigt. Dann mussten sie das Haus verlassen. Die Gruppe der Überlebenden zog nach Bologna und brauchte über einen Monat, bis sie dort Mitte November ankamen.
Ich hielt mich die ganze Zeit über im Wald versteckt. Als die Soldaten ihr Lager aufbauten, hatte ich die Hoffnung aufgegeben, nach Cerpiano zurückkehren zu können. Im Wald war ich auf andere Leute gestoßen. Wir hatten gemeinsam den Fluss überquert und waren unterhalb eines Dorfes herausgekommen. Wir waren durchnässt und dreckig und versuchten Unterschlupf bei ein paar Bauernhäusern zu finden, was uns jedoch verwehrt wurde. Eine der Bäuerinnen, Margarita Janelli, hat sich jedoch dazu überreden lassen, Brot zu backen und uns Essen in den Wald zu bringen. Durch ihre 5 Brotlaibe konnten wir 10 Tage überleben.
Später sahen wir ein Gefecht zwischen Deutschen und anderen Soldaten. Da sie gegen die Deutschen kämpften, waren wir der Meinung, dass das diejenigen waren, auf die wir warteten. In der folgenden Nacht machten wir uns in Richtung dieser Soldaten auf. Dabei überschritten wir die damalige Front und befanden uns im schon befreiten Gebiet der Alliierten.