Zwischen Tradition und Konflikt: Der Widerstand in Italien

Wandbemalung in dem Dorf Vestignano, MarkenDie Resistenza in Italien ist heute wieder zu einem Symbol geworden. Wie sich die Auslegung der Resistenza im Laufe der Jahre entwickelte und veränderte: kein einfaches Thema, denn trotz seiner geringen Dauer und obwohl er nur einen Teil Italiens betraf, ist dieser Befreiungskampf ein äußerst komplexes Phänomen.

Die Resistenza in Italien ist heute wieder – was sie lange Zeit nicht mehr war – zu einem Symbol geworden. Wie sich die Auslegung der Resistenza im Laufe der Jahre entwickelte und veränderte: kein einfaches Thema, denn trotz seiner geringen Dauer (20 Monate zwischen September 1943 und April 1945) und obwohl er nur einen Teil Italiens betraf, ist dieser bewaffnete Befreiungskampf ein äußerst komplexes Phänomen.

Zudem besteht eine enge Verknüpfung zwischen der Interpretation der Resistenza und den politischen Ereignissen in Italien von 1945 bis heute. Im Folgenden soll die Entwicklung dieser Interpretation anhand wichtiger Daten rekonstruiert werden.

Das erste wichtige Datum ist das Jahr 1946. Nach einem ruinösen Krieg stellt sich Italien die Frage nach der Zukunft. Das Land wird von einer großen Koalition aller Parteien regiert, die am Widerstand beteiligt waren. Am 2. Juni, beim Referendum über die künftige Staatsform, entscheidet sich eine knappe Mehrheit für die Republik und gegen die Monarchie. Nationalfeiertag wird der 25. April. Dies ist besonders interessant: Der 25. April war nicht das Kriegsende selbst, sondern das Datum des großen Partisanenaufstands in den Großstädten Norditaliens. Von Anfang an wird der Widerstand zur legitimierenden Grundlage der neuen Republik gemacht (die Verfassung tritt erst 1948 in Kraft). Dadurch wird auch eine historische Kontinuität angestrebt: Die Resistenza ist ein zweites „Risorgimento“, sie hat das Werk vollendet, das mit der italienischen Einheit 1861 begonnen wurde. Es wird eine Entwicklungslinie gezeichnet, in der Risorgimento und Resistenza die identitätsstiftenden Elemente sind, während der Faschismus als reine Episode ausgeklammert wird.

Viale dei partigiani in Parma Wandbemalung

Links: Viale dei Partigiani in Parma
Oben, rechts: Wandbemalung in dem Dorf Vestignano, Marken 
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Diese erste Phase geht 1947 durch das Auseinanderfallen der großen Koalition abrupt zu Ende: Es war die kommunistische Partei, die die Koalition aufgrund des Beitritts zur NATO verließ. Dieser Bruch wird 1948 durch den Wahlsieg der Christdemokraten bestätigt: erste Folgen des beginnenden Kalten Krieges.

Im selben Jahr spaltet sich auch die Partisanen-Vereinigung ANPI (Associazione Nazionale Partigiani d’Italia), aus der die katholischen und liberalen Gruppen austreten.

Zwischen 1948 und 1955 wird die Resistenza von beiden politischen Fronten (der christdemokratischen DC und ihren Koalitionspartnern auf der einen, den Kommunisten auf der anderen Seite) als Grundlage ihrer so unterschiedlichen Identität in Anspruch genommen. Der politische Kampf ist besonders hart; staatliche Organe starten eine regelrechte Verfolgungskampagne gegen die ehemaligen kommunistischen Partisanen.

Zehn Jahre nach Kriegsende wird die Resistenza von der Zentrumskoalition unter Scelba noch direkter zur Grundlage des neuen Staats ernannt; andererseits werden die Partisanenvereinigungen ausgeschlossen und die Rolle der Armee stärker betont.

Das Jahr 1960 bringt eine zweite Wende im Verständnis der Resistenza: Am 25. März bildet der Christdemokrat Tambroni eine Regierung, die von Monarchisten und den Neofaschisten der MSI unterstützt wird. Dies sorgt für neue Einigkeit innerhalb der ehemaligen Resistenza, die gemeinsam Streiks und Großdemonstrationen organisiert (in Reggio Emilia werden bei den Unruhen 5 Menschen getötet). Am 22. Juli tritt Tambroni zurück: Trotz des Widerstands durch Großteile der DC, der Wirtschaft und des Vatikans ist der Weg frei für eine Öffnung nach links.

Die neuen „Mitte-Links“-Regierungen (mit Unterstützung der sozialistischen Partei PSI, die seit 1956 jede Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei aufgekündigt hat) tragen weiter zur Legitimation der Resistenza bei. Das Staatsfernsehen bringt Berichte und historische Dokumentationen, das Kultusministerium macht die Geschichte bis 1947 zum obligatorischen Lernstoff für die Schule, neue Filme über den Widerstand werden gedreht.

Zum Anlass des 20. Jubiläums wird 1965 versucht, durch große zentrale Feierlichkeiten die Einheit der Resistenza zu betonen und sie als gemeinsame Aktion von Bauern, Arbeitern, Angestellten, Männern und Frauen darzustellen. Der Antifaschismus soll die legitimierende Grundlage des demokratischen Staates werden und einen Orientierungspunkt im sozialen und kulturellen Wandel bieten. Einmal mehr wird der Faschismus als „Feind im Inneren“, als Episode oder Unfall in der Geschichte angesehen. Eine Besonderheit in diesem Kontext stellt die Rolle der kommunistischen Partei PCI dar, die als starke, auf die Resistenza gegründete Partei das Recht reklamiert, zusammen mit den anderen antifaschistischen Kräften an der Regierung beteiligt zu werden.

„Ora e sempre – resistenza“ – „Jetzt und immer – Widerstand“ war 1968 der Slogan der Studentenbewegung. Eine neue Generation tritt auf den Plan. Sie kritisiert zwar die Väter und die Art und Weise, wie sie den 25. April feiern, aber gleichzeitig will sie auch mit ihren „alternativen“ Demos dabei sein. Die Partisanenbande als kleine Einheit der demokratischen Selbstverwaltung wird den Institutionen und dem „Compromesso storico“, dem „historischen Kompromiss“ zwischen DC und PCI entgegengesetzt. Auch in den späteren „bleiernen Jahren“ zwischen 1975 und 1980 bleibt diese Spaltung zwischen dem offiziellen Bild der Resistenza und dem Versuch der sozialen Bewegungen, sich als die richtigen Erben der Resistenza darzustellen, weiterhin bestehen.

In den links regierten Regionen, in denen die Führungsklasse direkt aus der Resistenza stammt, wird der Widerstand immer mehr zu einem wesentlichen Faktor der kollektiven Identität. Vielerorts wird die lokale Geschichte neu geschrieben, in dem die Zeit 1943-45 als Ziel und Endpunkt einer hundertjährigen Entwicklung dargestellt wird.

1985 wird bei den Gedenkveranstaltungen zur Resistenza der Höhepunkt der Historisierung erreicht. Gerade als zum ersten Mal ein Sozialist Ministerpräsident wird (Bettino Craxi) und ein Antifaschist und Partisan wie Sandro Pertini zum Staatspräsidenten gewählt wird, wird die Resistenza zum „Museumsexponat“ der nationalen Geschichte, zu einer historischen und unproblematischen Selbstverständlichkeit. Der 25. April wird zu einem formellen Feiertag, der den jüngeren Generationen kaum noch etwas vermitteln kann.

Diese Tendenz zur „Einmottung“ findet mit dem Fall der Mauer in Berlin 1989 ein Ende. Die Resistenza wird zum Konfliktelement in der Auseinandersetzung der Linken. Vor allem von Seiten der sozialistischen Partei, 1989 noch an der Regierung, wird sie als Mittel zum Angriff gegen die kommunistische Partei benutzt. Die Legitimierung der PCI als tragende Kraft der Resistenza wird in Frage gestellt, man unterscheidet jetzt zwischen einer „guten“, demokratischen, westlich orientierten Resistenza und einer „roten“ Resistenza, die angeblich die kommunistische Revolution als Ziel verfolgte.

Diese Instrumentalisierung der Geschichte findet ihre Fortsetzung nach 1992, als die Korruptionsskandale in wenigen Monaten zur Auflösung der alten Mitte-Links-Parteien führen.

1994 kommt eine Mitte-Rechts-Koalition an die Regierung, die neben einer ganz neuen Organisation (Forza Italia) auch die neofaschistische Partei Alleanza Nazionale und die demagogisch-fremdenfeindliche Lega Nord umfasst.

Für die politische und soziale Welt, die sich mit den Werten der Resistenza identifizierte, ist dies ein echter Schock: Am 25. April 1994 findet in Mailand die größte Demonstration seit 1946 statt, bei der über 400.000 Menschen gegen die Regierung demonstrieren. Die Resistenza wird wieder zu einem starken, generationenverbindenden Element der kollektiven Identität. In diesen Jahren erscheint auch das wichtigste Essay von Claudio Pavone, „Una guerra civile. Sazio storico sulla moralitá della Resistenza“ (Ein Bürgerkrieg. Historische Abhandlung über die Moralität der Resistenza). Der Autor spricht von der Resistenza als von einem dreifachen Krieg: Bürgerkrieg, Befreiungskrieg, Klassenkampf.

Der Text basiert auf einem Vortrag von Massimo Storchi zur Ausstellungseröffnung „Partigiani“ in Freiburg und einem Gespräch, das im September 2002 im istituto storico in Reggio Emilia mit ihm geführt wurde.

Massimo Storchi (Jg. 1955) ist Historiker am „Istituto storico della Resistenza“. Forschungsgebiete: Faschismus in der Emilia Romagna, Resistenza und Nachkriegszeit. Veröff. in Auswahl:

Uscire dalla guerra. Ordine pubblico e dibattito politico a Modena. 1945-46, Franco Angeli 1995;

Combattere si può, vincere bisogna. La scelta della violenza tra Resistenza e dopoguerra. Reggio Emilia 1943-46, Marsilio 1998.