Capolapiaggia – Brief des Partisanen Livio Piccioni

Gedenktafel für Luigi Giovannini„Sie wurden von den Deutschen gefangen genommen und in Capolapiaggia ermordet“

Es war die Zeit Februar / März 1944, und die Faschisten führten sich in Camerino als Herren auf, sie konnten töten, wen sie wollten, mit oder ohne Prozess, je nach Laune …

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 Letegge
Das Dorf Letegge
 Gedenktafel in Capolapiaggia
Gedenktafel mit den Namen der Ermordeten
 Gedenktafel für Luigi Giovannini
 Gedenktafel für Luigi Giovanni

Livio Piccioni: Es war die Zeit Februar / März 1944, und die Faschisten führten sich in Camerino als Herren auf, sie konnten töten, wen sie wollten, mit oder ohne Prozess, je nach Laune. Und so wurde am 17. März 1944 Annibale Ruggero Mancini und Angelo Piancatelli an der Mauer des Städtischen Friedhofes und am 10. April Salvatore Troilo im Gefängnishof erschossen. Mit anderen Worten, man lebte in einem Klima ständiger Angst. Das Hauptmotiv der Entscheidung, in die Berge zu gehen, war, uns vor den ständigen Razzien und Durchkämmungsaktionen zu retten, die das deutsche und das italienische Heer sowohl in der Schule als auch außerhalb durchführten. Ich war 18 Jahre alt und somit wehrpflichtig und meine Anwesenheit im Dorf war ziemlich heikel, auch da die faschistischen Spitzel überall waren. So habe ich in Übereinstimmung mit meinen Eltern beschlossen, in die Berge zu flüchten um nicht in das faschistische Heer eingezogen oder nach Deutschland deportiert zu werden. Das Partisanen-Bataillon „Gian Mario Fazzini“ im Gebiet Pozzuolo di Camerino wurde von unserem Freund Don Nicola Rilli (Leutnant „Lino“) kommandiert, und deshalb riet mir mein Vater, dorthin zu gehen.

Ich bin in den ersten Tagen des Monats April in die Berge gegangen, und ich merkte sofort, dass meine Entscheidung richtig war. Jeden Tag sah ich Menschen ankommen, junge wie alte, die den Krieg satt hatten und die der Sache eine Wendung gaben, die schneller zum Frieden und zur Befreiung unseres Vaterlandes von der faschistischen Diktatur führen sollte. Auch die Alliierten waren bereits in den nahen Abruzzen angekommen und so erwarteten wir in kurzer Zeit die Befreiung.
Unsere Tage verbrachten wir zwischen Wacheschieben und Ausruhen, denn es waren die Nächte, in denen wir marschieren mussten. Wir, die Jüngsten, dienten als Verbindung zwischen den angrenzenden Partisanengruppen, als Befehlsüberbringer oder aber um eine Kuh oder ein Kalb zu holen, deren Fleisch für unsere einfachen Rationen benutzt wurde und auch an die Zivilbevölkerung verteilt wurde. Der Ort, zu dem wir gehen mussten, um die Tiere abzuholen, wurde uns vom Geheimen Befreiungskomitee Camerino (Comitato di Liberazione Clandestino di Camerino) mitgeteilt. Unsere Gruppe von Pozzuolo wuchs immer weiter an, und auch die Kompanie der Carabinieri schloss sich Mitte Juni unserem Bataillon an.

Ich erinnere mich genau daran, was am 24. Juni 1944, diesem tragischen Tag, geschah. Wir kehrten gerade aus Serrapetrona zurück, erschöpft und ausgehungert, weil wir die ganze Nacht marschiert waren. Wir kamen gegen elf Uhr Nachts in Teggiole an. Am Morgen begannen drei meiner Freunde, Cesare Bernardi, Marino Grifantini und Pietro Piancatelli, nach Pozzuolo hinab zu steigen, um festzustellen, ob es dort etwas zu essen gäbe. Aber in diesem Augenblick traf der erste Kanoneneinschlag den Kirchturm von Letegge, wobei die Mutter des Priesters, Palma Benifiori-Ciabocco getötet und Luigi Giovannini schwer verletzt wurde und kurz darauf starb. Ich habe die Szene des Abstiegs meiner Freunde Richtung Pozzuolo immer noch vor Augen. Sie hörten nicht auf meine Rufe, umzukehren. Sie wurden von den Deutschen gefangen genommen und in Capolapiaggia brutal ermordet.
In der Zwischenzeit beobachtete unser Kommandant Giuseppe Artori mit dem Fernglas die Ankunft der deutschen Soldaten in Pozzuolo und gab sofort den Befehl, in den Bergen Schutz zu suchen. Wir begannen wieder Richtung Valle Serra aufzusteigen, zwischen Maschinengewehrgaben und Kanonenschlägen. Die Kanonenschläge waren sehr präzise, während das Maschinengewehr aufgrund der großen Distanz seine Effizienz eingebüßt hatte. So gab es zum Glück keine Verletzten, nur ein paar einfache Schürfwunden. Es kam uns auch ein leichter Nebel zu Hilfe, der unsere Flucht verbarg. Gegen 14.00 Uhr kamen wir in Castelsanvenanzio Serrapetrona an.

Am Morgen des 25. Juni nahm der deutsche Kommandant zehn Männer als Geiseln, mit der Drohung, wenn ein Deutscher sterben sollte, würden sie alle ermordet werden. Unter ihnen war meinen Vater, der die Totenbahre für die Mutter des Priesters, die am Tag zuvor getötet worden war, bereitet hatte. Die Woche verging zu unserem Glück ohne irgendwelche Vorkommnisse. An Stelle des deutschen Kommandanten war ein österreichischer Offizier geblieben, der ein guter Christ war und der Bevölkerung empfahl, ruhig zu bleiben, damit nichts geschähe.
Der Priester von San Gregorio, der die Erlaubnis hatte, sich frei zu bewegen, hielt mich über alle Geschehnisse auf dem Laufenden und er berichtete mir von der Erschießung der Zivilisten und Partisanen in Capolapiaggia am 24. Juni. Insgesamt wurden 44 Menschen ermordet, nur zwei überlebten das Massaker: Urbano Albani und Giulio Lozzi. Die Barbarei des Krieges hatte ein letztes Mal zugeschlagen. In der Nacht des 30. Juni zogen sich die Deutschen zurück und am ersten Juli kamen die Alliierten an. Camerino war frei. Insgesamt haben wir die wieder gewonnene Freiheit mit 84 Toten bezahlt, aber die Menschen im Berggebiet von Letegge, Pozzuolo und State hatten soviel Bestrafung nicht verdient.

Camerino, 10. Mai 2005, Livio Piccioni

 


Dieser Brief des Partisanen Livio Piccioni wurde vom Historiker Bruno Pettinari bei der Veranstaltung gegen das Gebirgsjägertreffen in Mittenwald verlesen, Pfingsten 2005.