“Als Kommandant brauchte man kein Abitur“

Camillo Marmiroli „Mirko“ schloss sich Anfang Mai 1944 der Resistenza an und war Vizekommandant einer Garibaldi-Brigade. Vorher nahm er als Leutnant der Infanterie in der italienischen Armee am Balkan-Feldzug teil.

Ciao Mirko

Am 9. April 2011 ist Camillo Marmiroli in Reggio Emilia im Alter von 91 Jahren gestorben. Viele Teilnehmer/innen der Sentieri Partigiani haben ihn als Mirko kennengelernt, sein Deckname als Partisan der Resistenza.

Viele junge Leute durften Mirko als Zeitzeugen erleben, in den Schulen Reggios, bei Bildungsreisen oder Wanderungen auf Partisanenwegen. Seine Berichte waren immer auch flammende Appelle für eine Kultur des Friedens, für Solidarität und Respekt.

Mirko und Volpe

"Mirko" (rechts) und "Volpe", der eine Garibaldi-Einheit kommandierte

Camillo Marmiroli: Beim Waffenstillstand war ich Soldat in Jugoslawien. Die Deutschen besetzten nicht nur Italien, sondern auch andere Länder und deportierten italienische Soldaten. Es war eine schreckliche Zeit, ich dachte damals oft an meine Mutter. Zu der schwierigen Lage, der Arbeit und dem Hunger, kam für sie noch die Sorge um mich und meine Brüder, die in Deutschland gelandet waren.
Wir hatten ein Schiff organisiert mit über 500 italienischen Soldaten, die aus Jugoslawien abhauen und zurück nach Italien wollten. Wir schipperten die Küste entlang, aber niemand wollte uns. Am Ende sind wir in Ancona an Land gegangen – unbewaffnet und ausgehungert.
Untergebracht wurden wir in einer alten Fabrik. Ich durfte raus und bin losgezogen, weil ich schrecklichen Hunger hatte. Ich hatte Weintrauben gesehen, und wie ein kleines Kind bin ich hinter denen her gewesen. Die Obstverkäuferin erzählte mir, wie man abhauen könnte. Auf dem Schiff waren sieben aus Reggio Emilia. Drei haben sich mit mir nach Hause durchgeschlagen. Die anderen drei fanden es zu riskant und haben das mit der Deportation nach Deutschland bezahlt.
Wir haben von den Leuten Zivilkleider bekommen. Seine Sachen hergeben war damals ein großer Akt, die Kleiderschränke waren nicht so gut bestückt wie heutzutage. Und natürlich waren das Sachen, die zu klein oder zu groß waren. Aber so haben wir es geschafft nach Reggio zu kommen. Wir hielten uns ein paar Monate versteckt. Wir wurden ja als Deserteure gesucht, die eigenen Leute wollten uns erschießen, die Deutschen deportieren.
Durch Kontakte zum Widerstand wurde ich im April 1944 in die „Casa Roma“ gebracht. Von dort begleiteten uns Stafetten immer ein paar Kilometer, dann übernahm eine andere. Wir waren 45 junge Männer mit 7 Gewehren und einer Jagdwaffe – das war unsere glorreiche Bewaffnung. Wir waren politische Analphabeten und wussten zunächst nicht, was man eigentlich hätte tun sollen, tun können.
Einige Tage später sind wir zu einer Gruppe von 7 Partisanen in der Provinz Modena gebracht worden. Alles hat sich sehr langsam entwickelt. Zuerst mussten wir Überfälle durchführen um an Waffen zu kommen. Im Mai bekamen wir erstmals Unterstützung durch Fallschirmabwürfe der Engländer.
Viele von uns waren jung und konnten mit Waffen nicht umgehen. Bei mir war das anders, ich hatte ja – leider – den Krieg in Jugoslawien erlebt. Einmal warfen die Engländer über 130 Sten-Maschinenpistolen und 4 schwere Maschinengewehre ab. Aber am Anfang hatten wir nicht mal genug Leute, um sie einzusetzen. Also mussten wir die Waffen erst einmal verstecken und lernen, damit umzugehen.
Später wurden Untergruppen gebildet. Wir sind ins Enza-Tal gegangen, haben unsere eigene Brigade aufgezogen und sie nach Antonio Gramsci benannt. Diese Brigade hatte vier Bataillone, eines davon kommandierte ich. Man brauchte dazu kein Abitur. Ich habe die Grundschule besucht und als Handwerker gearbeitet, aber darauf kam es nicht an. Es ging darum, dass man ruhig blieb, in einigen Situationen ein bisschen Mut hatte und Erfahrung.
Bevor ich Partisan geworden bin, war ich 42 Monate Soldat, habe kistenweise Munition verschossen. Normalerweise siehst du im Krieg nicht, auf wen du schießt, du schießt irgendwohin, weißt letztlich nie, ob du getötet hast.
Man muss auch sagen, wie wir Italiener uns auf dem Balkan aufgeführt haben. Von  Gebirgsjägern und faschistischer Miliz wurde z. B. ein ganzes Dorf ausgerottet. Über 300 Zivilisten wurden getötet, weil jemand auf die italienischen Besatzer geschossen hatte. Daran kann ich mich noch genau erinnern. Ich war nicht zum Exekutionskommando eingeteilt, sondern bei denen, die das Gebiet abgesperrt haben. Aber im Prinzip war ich mit dabei. Die Verbrecher, die das Kommando führten, haben Leute für Erschießungen eingeteilt und sind dann weggegangen, haben andere die Drecksarbeit machen lassen. Der Krieg war eine große Schweinerei.
In der Partisanenzeit habe ich auch viel geschossen, aber da konnte man sich nicht rausziehen. Als wir in die Berge gegangen sind, haben wir das nicht aus Lust zu töten getan. Mein Gewissen ist rein, ich habe niemanden misshandeln oder hinrichten lassen. Natürlich haben wir geschossen. Wir haben auch Leute gebracht bekommen um sie hinzurichten, die uns als Faschisten präsentiert wurden. Einmal wurde uns ein 19-jähriger gebracht. Da meinte ich: Da ich nun mal Kommandant bin, wird er nicht aufgehängt. Das war ein Junge, der mitgemacht hat, aber als er konnte, abgehauen ist. Später kämpfte er mit uns, und wir haben gemeinsam die Befreiung gefeiert.