Arbeitsmigration aus Italien in Deutschland nach 1945

Arbeiterinnen

„Ja, Italien, die Italiener“

Innerhalb von 15 Jahren – gerechnet ab 1954 – wurden über 2 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland angeworben. Anfangs kam das größte Kontingent aus Italien.

Innerhalb von 15 Jahren – gerechnet ab 1954 – wurden über 2 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland angeworben. Anfangs kam das größte Kontingent aus Italien; erst Ende der 60er Jahre entwickelten sich FremdarbeiterInnen aus Jugoslawien und der Türkei zur größten Gruppe. Ende 1973 wurde durch die Regierung ein sogen. Anwerbestop verordnet.

Aus der deutschen Wirtschaft wurde die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte schon seit 1952 gefordert. Das galt zunächst für die Landwirtschaft und für ökonomisch eher unwichtige industrielle Bereiche und Branchen, bald aber auch für die Bauwirtschaft und bestimmte Bergbauunternehmen, schließlich seit April 1955 für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände insgesamt.“ (Rieker)

Das Bundesarbeitsministerium hatte einer Anwerbevereinbarung mit Italien nicht zuletzt in der Erwartung zugestimmt, auf diese Weise werde eine „geordnete zwischenstaatliche Arbeitsvermittlungs-Organisation“ geschaffen. Diese Vorstellung bildete den Hintergrund für zahlreiche, bis in die 1960er Jahre währende Konflikte um vermeintliche Einreisetricks von Italienern. Die bayerische Grenzpolizei klagte 1958, italienische Arbeitskräfte würden „laufend von in Deutschland bereits beschäftigten Italienern und auch von deutschen Arbeitgebern dahingehend belehrt, sich an der Grenze als Besuchsreisende auszugeben, um ohne Überprüfung und sichtvermerksfrei ins Bundesgebiet zu gelangen“.

„Zur Anwerbeprozedur gehörte anfangs auch eine sogenannte Sicherheitsüberprüfung, auf der das Bundesinnenministerium bestanden hatte. An ihr waren das Ausländerzentralregister, der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst, die „Organisation Gehlen“, beteiligt. Betroffen waren alle Italiener, die Interesse an einer Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik zeigten und sich bei der Deutschen Kommission vorstellten. Das Ergebnis wurde selbst von Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums als kläglich bewertet. Das dortige Ausländerzentralregister stellte im August 1956 fest, bei der Überprüfung von 26.870 Personen seien lediglich neun Bewerbungen beanstandet worden, und nur bei einer Person habe der Verdacht auf aktive Tätigkeit im Partito Communista Italiano (PCI) bestanden. Nach Intervention der Bundesanstalt für Arbeit stimmte das Innenministerium im Frühjahr 1957 zu, die Sicherheitsüberprüfung erst nach der Einreise der italienischen Arbeiter in die Bundesrepublik vorzunehmen, was sich in der Praxis wiederum nicht umfassend realisieren ließ.“ (Rieker)

Das Bemühen um diese Sicherheitskontrollen reduzierte sich allerdings nicht auf die Einreise. Manche Branchen und Betriebe hatten nämlich Mühe, die einmal angeworbenen Arbeitskräfte auf Dauer zu halten. Sie forderten deshalb zusätzliche Disziplinierungsinstrumente. So verlangte der Ruhrbergbau 1957, die Aufenthaltserlaubnis der dort beschäftigten Italiener an die Einhaltung ihrer Arbeitsverträge zu koppeln.

Dies blieb jedoch wenig realistisch. Auch Klagen über Vertragsbrüche gerade von Italienern waren von bundesdeutschen Arbeitgebern lange zu vernehmen. Die Bundesanstalt für Arbeit schätzte die Situation ohnehin differenzierter ein. Danach war die Fluktuation unter den italienischen Landarbeitern in den fünfziger Jahren deshalb hoch, weil sie über die Löhne und Arbeitsbedingungen sehr enttäuscht waren. Anfang der 1960er Jahre sei dann die Fluktuation ausländischer Arbeiter in der Bauwirtschaft zwar erheblich gewesen, insgesamt seien die Zahlen aber als „normal“ zu werten, da es sich hauptsächlich um junge Männer handele.

Ein Bild, das in den Texten über italienische Arbeitsmigranten immer wieder auftaucht, behandelt sie als „Ostagenten“ und „kommunistische Agitatoren“. Von Bonn aus wurde schon vor Abschluß des Anwerbevertrages mit Italien auf „Umtriebe“ italienischer Kommunisten in der Schweiz hingewiesen. Dieses Mißtrauen wurde vor allem vom Bundesministerium des Innern geteilt. Es sei nicht ausgeschlossen, warnte man von dort im Oktober 1955 die Bundesanstalt für Arbeit, daß von solchen Ausschüssen „auch andere als gewerkschaftliche Ziele verfolgt würden“. Die Bundesanstalt solle daher dem Bundesarbeitsminister „gegebenenfalls umgehend“ berichten.

Bundesregierung und italienische Regierung reagierten gleichermaßen heftig auf die „Infiltration“ und „kommunistische Infizierung“, die durch Rundfunksendungen aus dem Ostblock, vor allem aus der DDR und aus Prag, auf die italienischen Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik ausgeübt werde. Auf interministeriellen Besprechungen mit dem Außen- und Arbeitsministerium kam das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung deshalb 1961 zu dem Schluß, man müsse dem eigene Radiosendungen entgegensetzen. Sie wurden ab dem 1. Dezember 1961 vom WDR in italienischer Sprache produziert und von der Mehrzahl der bundesdeutschen Rundfunkanstalten ausgestrahlt. Seit dem 1. November 1964 wurde dieses Programm erweitert, um noch intensiver der „Beeinflussung durch Radio Prag entgegenzuwirken“. Und noch im April 1966 wandte sich der Bundestagsabgeordnete Friedrich Fritz an das Arbeitsministerium. Er führte aus, auf einem Forum der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft sei „bittere Klage darüber geführt worden, daß Italiener, die bei uns arbeiten, mit Flugblättern und auch sonst in jeder Weise für die italienische kommunistische Mafia werben“ dürften. In Deutschland aber sei die kommunistische Partei verboten, und „die in Deutschland arbeitenden Italiener hätten sich als Gäste aufzuführen und sich nach dem Gastland zu richten.“ Das vom Arbeitsminister eingeschaltete Innenministerium teilte bedauernd mit, es bestehe leider keine rechtliche Handhabe für Verbotsmaßnahmen.

Die Angst vor einer kommunistischen Bedrohung hatte vor dem Hintergrund der Konkurrenz der politischen Systeme durchaus auch positive Folgen für die westdeutsche Ausländerpolitik. Es wurden nicht nur Rundfunksendungen für ausländische Arbeiter eingeführt, sondern außerdem weitere Betreuungsmaßnahmen angeregt. So bildete das Bundesarbeitsministerium 1966 ein neues Referat, das „die Maßnahmen zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer in die Wirtschaft und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene koordinieren“ sollte. Auf diesem Wege wollte man einer „möglichen Isolierung“ der Ausländer entgegenwirken und den „Widerstand gegen eine von außen gelenkte zersetzende Propaganda“ stärken.

se“ Erinnerungen an Deutschland spielten allerdings keine geringe Rolle im kollektiven Gedächtnis der Italiener. Von den ersten italienischen Sozialfürsorgern in der Bundsrepublik, vor allem aber in der italienischen Presse wurde im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration in der Tat immer wieder auf den Nationalsozialismus verwiesen. In den Akten des Auswärtigen Amtes, des Bundesarbeitsministeriums, der Bundesanstalt für Arbeit und des Innenministeriums finden sich zahlreiche Übersetzungen solcher Zeitungsartikel. So schrieb die kommunistische L’Unità 1956, das Leben der Migranten in der Bundesrepublik sei die „Hölle“, sie würden wie „Gefangene“ behandelt. L’Unità sprach vom „Weinen des Landarbeiters, dem es gelungen (sei), zu entfliehen“. 1960 hieß es – ebenfalls in L’Unità – direkt: „Gli italiani in Germania hanno tornato nei ‚lager'“,die Italiener in Deutschland seien in die Lager zurückgekehrt.

Insgesamt war das Bild, das Presse und Rundfunk von den italienischen Migranten entwarfen, jedoch äußerst ambivalent. Die konkrete Ausprägung eines Berichts hing vor allem davon ab, ob sich die Autoren in Süditalien aufgehalten hatten oder ob sie sich eher von Urlaubserinnerungen in Nord- oder Mittelitalien leiten ließen. So fand sich 1957 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ein sehr freundlicher Artikel über italienische Bergarbeiter in Walsum, in dem ein Zechenangestellter mit den Worten zitiert wurde: „Ich habe mehrmals gesehen, daß Polizisten Italiener anbrüllten, nur weil sie einmal nicht ganz vorschriftsmäßig die Straße überquerten. Wenn ich da an die freundlichen Beamten am Gardasee denke […].“ Und der Autor einer dreiteiligen Serie, die 1960 in der „Welt“ über die italienischen Arbeitsmigranten erschien, setzte nicht ohne Selbstironie das bildungsbürgerliche und durch den Urlaub in Italien geprägte gegen das von negativen Stereotypen bestimmte Italienerbild der frühen Bundesrepublik. Wohin „der Germane im Württemberger“ im Stuttgarter Hauptbahnhof auch schaue: „In Gruppen zusammenstehend, durch die Halle flanierend, auf den Bänken zusammengedrängt und zu später Stunde gar dort gelagert, (‚die Lumpe, die dreckete‘) – Italiener. Knallbunte Hemden grellen (‚Soo rumlaufe!‘), verflickte, ausgewaschene Hemden schauen bleich (‚ Rumlaufe, soo!‘). Am Zigarettenstand kann ein zierlicher Mann von etwa vierzig Jahren, der so klein ist, daß er knapp über das Glasbord späht, nicht ausdrücken, welche Sorte er möchte, und tippt mit dem Finger auf ein Päckchen in der Auslage. Klatsch, hat er schon einen derben Patsch auf die vorwitzige Hand bekommen. Beifallheischend blickt der Herr über Rauch und Feuer um sich: ‚Nix anfasse, Makkaroni!'“ Im Restaurant des Turmhotels im Stuttgarter Hauptbahnhof biete sich dem Betrachter dagegen ein anders Bild. Dort werde „mit Diskretion und Eleganz serviert von Italienern, in Schwarz, mit langer, weißer Hüftschürze. Zur Krönung der Genüsse kann der Gast mit dem Italienisch prunken, das er aus den Ferien im Süden mitgebracht hat, und seine Tischgenossen staunen ihn gebührend an. Denn auch hierbei geht’s zu wie beim Servieren: Mit Eleganz erhascht der Ober den Sinn der (überdies schwäbisch gefärbten) Brocken, und mit Diskretion fügt er zart Antworten hinzu, die das Bild eines fließend auf Italienisch geführten ‚Dialogs‘ vollständig machen. ‚Ja, Italien, die Italiener‘, sagt dann der Gast, nun wieder (noch immer) auf deutsch, und die Sehnsucht, die sein Auge umwölkt, läßt die Gefährten beim Mahl gar ängstlich schauen: Es wird ihn doch nicht gar übermannen?“

Die italienischen Arbeitsmigranten zogen in gewisser Weise Nutzen aus dem in den fünfziger Jahren aufkommenden „touristischen Blick“ vieler Deutscher auf Italien. Die Hauptattribute dieser romantisierenden Italien-Sehnsucht waren Sonne und Meer, Gesang und Musik, Wein und Gastronomie, Liebe und Lebenslust, die italienische Mode, die Schönheit der Landschaft und der Reiz der alten Städte. Bisweilen kam der bildungsbürgerliche Verweis auf Italien als „Wiege“ der antiken Kultur und der Renaissance oder auf den modernen italienischen Film hinzu.