Von den „Rassegesetzen“ 1938 bis zur Shoa
„Alles begann an diesem schicksalsschweren 2. September 1938, als ich auf der Straße die furchtbare Nachricht aus dem Lautsprecher erfuhr: ‚Die jüdischen Lehrkräfte und Schüler sind ab dem kommenden Schuljahr von den öffentlichen Schulen ausgeschlossen.‘ Für einen Moment wurde der Himmel pechschwarz und alles um mich herum und in mir brach zusammen.“
Links: Liliana und Luciano Fano am 7.12.1943 in Parma. Sie wurden am 10.4.1944 in Ausschwitz ermordet Mitte: Gedenktafel im Park für die Geschwister Fano und Della Pergola in Parma (Zum Vergrößern auf die Bilder klicken) Rechts: Das Privatinstitut “De La Salle di Parma“ - Schuljahr 1942/43 (1. Reihe, fünfter v. links: Luciano Fano)
Mit diesen Worten beschrieb Elena Foà Levi kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Tag, an dem sie das erste Mal mit den antijüdischen Gesetzen des faschistischen Regimes Bekanntschaft machen musste und sie eine erste Ahnung von der Tragödie, die sich bald darauf ereignen sollte, ergriff. Im Jahr 1938 bestand die kleine jüdische Gemeinde in Parma laut der „Judenkartei“, einer aufgrund der „Rassengesetze“ angelegten Sonderdatei, gerade einmal aus 134 Personen, darunter Elenas Ehemann Mosè Renzo Levi (deportiert und ermordet in Mauthausen) und ihre beiden Söhne Bruno und Fausto.
Seit dem 14. Jahrhundert waren in Parma und der Umgebung jüdische Gemeinden ansässig. Die Assimilierung jüdischer Glaubensangehöriger ab dem 19. Jahrhundert hatte die Zahl der Gemeindemitglieder kontinuierlich abnehmen lassen.
Angekündigt durch das „Manifest der Rasse“ vom 14. Juli 1938 und begleitet von einer aggressiven Pressekampagne wurden Anfang September 1938 die ersten antisemitischen Erlasse vom Ministerrat bekannt gegeben. Im November trat eine weitere Reihe legislativer und administrativer Bestimmungen in Kraft, die die jüdische Minderheit an den Rand der Gesellschaft drängte. Auch in Parma wurden Jüdinnen und Juden aus den öffentlichen Schulen, aus der Universität und den staatlichen Behörden ausgeschlossen. Es wurde ihnen der Besitz von Grundstücken und Häusern verboten, sie durften sich nicht mehr freiberuflich niederlassen, konnten keine Handelszulassung erwerben oder nichtjüdische Hausangestellte einstellen. Somit wurden sie aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Auch wenn aus Parma, anders als aus Triest, Padua oder Pisa, keine tätlichen Angriffe auf Personen jüdischen Glaubens bekannt wurden, so empfanden doch auch hier die jüdischen StadtbewohnerInnen die antisemitischen Hetzkampagnen, besonders der Tageszeitung „Corriere Emiliano – Gazetta di Parma“, und die bestehenden rassistischen Gesetze als einen Akt der Gewalt. In der öffentlichen Meinung hingegen fehlte völlig das Bewusststein über das Ausmaß dessen, was da an Ungeheuerlichkeiten geschah. In diesem Sinne äußert sich auch der Zeitzeuge Giovanni Timossi, der sich an den Ausschluss seines jüdischen Schulkameraden Giorgio Foà aus dem Lyzeum erinnerte: „Zu Beginn des dritten Schuljahres kam Giorgio nicht mehr zum Unterricht. Durch die Rassengesetze war ihm der Schulbesuch verboten, den er bis dato mit viel Erfolg absolviert hatte. Wurden wir dadurch besonders berührt? (…) Ich fürchte, ich muss der Ehrlichkeit halber zugeben, dass wir damals eher von Indifferenz und Apathie beherrscht waren.“
Italien im Krieg und die Internierung nicht italienischer Jüdinnen und Juden
Die Entscheidung der faschistischen Regierung, den Zuzug verfolgter jüdischer Personen aus Europa zu stoppen, fiel zeitlich mit den Vorbereitung zum Kriegseintritt Italiens zusammen. Mitte Mai 1940 beschloss Mussolini, die nicht italienischen Jüdinnen und Juden, zwischen 5.500 und 6.000 Personen, in speziellen Lagern zu internieren. Für die Männer war die Gefangenschaft in Lagern vorgesehen, während Frauen und Kinder in den Kommunen festgehalten und nach und nach in Tarsia in der Provinz Cosenza konzentriert werden sollten. Fünf Tage nach Kriegseintritt verkündete das Innenministerium, alle nicht italienischen Jüdinnen und Juden, „die Angehörige solcher Staaten sind, in denen die Rassengesetzgebung Gültigkeit hat“, in Konzentrationslagern zu internieren. In den folgenden zwei Jahren beschloss das faschistische Regime, bereits internierte Jüdinnen und Juden aus den annektierten Mittelmeergebieten auf die Halbinsel zu verlegen – darunter ca. 3.000 Menschen aus Jugoslawien und 1.000 aus Libyen. Im Frühjahr 1943 waren es in Italien an die 6.400 Jüdinnen und Juden, die von dieser Freiheitsberaubung betroffen waren: 2.000 von ihnen waren in die Lager verbracht worden, während die restlichen in den einzelnen Kommunen interniert waren.
In der Provinz von Parma waren im Juni 1940 ebenfalls zwei „polizeiliche Konzentrationslager“ eingerichtet worden, in denen die jüdischen Gefangenen inhaftiert waren, die meisten von ihnen aus dem Ausland, häufig aus Jugoslawien. Bei ihrer Ankunft mussten sie eine Erklärung unterschreiben, mit der sie derart viele Regeln und Verbote akzeptieren sollten, dass eine der Internierten schrieb: „Ich halte es für überflüssig, dass sie uns die Dinge mitteilen, die verboten sind: Es sind zu viele. Es wäre einfacher, uns zu sagen, was gestattet ist.“ Die ausländischen Internierten, größtenteils waren es ganze Familien, lebten in einer materiell äußerst prekären Situation. Manches Mal kam die ansässige Bevölkerung zu Hilfe und gab Lebensmittel, Kleidung und spendete Trost. Es sind einige Episoden dokumentiert, bei denen BewohnerInnen des Ortes mit den Internierten vertraut wurden und Freundschaft schlossen, obwohl es dagegen ein striktes Verbot der öffentlichen Sicherheitsbehörden gab. Nach dem 8. September 1943 versuchten viele aus der Internierung zu entkommen, um der Verhaftung durch die deutsche Polizei zu entgehen, doch der Großteil von ihnen wurde abermals verhaftet und erneut in Lagern bis zur Deportation festgehalten.
Die deutsche Besatzung und die Lager in der Republik von Salò
Die Besetzung Zentral- und Norditaliens durch die Deutschen und die Errichtung der Repubblica Sociale Italiana (RSI) ab September 1943 verschärften die Lage der politischen und jüdischen Gefangenen. Mit dem Polizeigesetz Nr. 5 vom 30. November 1943, erlassen vom faschistischen Innenministerium der RSI durch Guido Buffarini Guidi, wurde bestimmt, alle italienischen Jüdinnen und Juden vorerst in örtlichen Konzentrationslagern zu sammeln, bis sie in Sonderlagern zusammengelegt würden. Drei Tage später ließ der stellvertretende Kommissar der faschistischen Partei von Parma Guglielmo Ferri verlauten, dass die bereits bestehenden Konzentrationslager wieder in Betrieb genommen werden sollten – eines der zwei Lager in Parma war auf Grund der Flucht aller Gefangenen nach dem 8. September geschlossen worden, in dem anderen befanden sich allerdings noch immer Gefangene. Die erwachsenen jüdischen Männer wurden dort interniert, während die Frauen und Kinder in örtliche Gasthöfe verbracht wurden. Hier kamen italienische und nicht italienische Jüdinnen und Juden zusammen, deren gemeinsames Schicksal die Vernichtung in den Todeslagern werden sollte.
Einige der Lager wurden im März 1944 aufgelöst, nachdem die Gefangenen in das Durchgangslager von Fossoli bei Carpi verbracht worden waren. (Vgl. „Teil des deutschen Lagersystems“). Das Konzentrationslager von Scipione bei Parma dagegen, aus dem ebenfalls Gefangene im März 1944 nach Fossoli gebracht worden waren, wurde erst im September 1944 aufgelöst, nachdem Partisaneneinheiten dort die letzten Gefangenen befreit hatten.
Die Vernichtungslager
Die nach Fossoli gebrachten Gefangenen blieben dort nur ca. drei Wochen. Am Morgen des 5. April 1944 wurden die jüdischen BewohnerInnen Parmas in verschlossene Viehwagons verfrachtet und mit dem Konvoi Nr. 9 nach Auschwitz deportiert. Der Zug trug die Aufschrift RSHA, „Reichssicherheitshauptamt“, das für die Deportation in die Vernichtungslager zuständig war. Die Fahrt dauerte mit Stopps in Mantua und Verona fünf Tage. In Verona wurden weitere Wagen angehängt, die nahezu ganz Europa durchquerten, bis sie in Polen ankamen. Es waren fünf leidvolle Tage einer Reise, die nie zu enden schien.
Laut den Akten des Archivs der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz entgingen von den insgesamt 600 Personen aus dem Zug Nr. 9 nur 80 Frauen und 154 Männer nach der Ankunft der Gaskammer. Von den Frauen überlebten in der Folgezeit nur wenige die Strapazen und die Gewalt im Lager. 51 von ihnen kehrten nach dem Kriegsende nach Hause zurück. Die genaue Zahl der ermordeten Jüdinnen und Juden, die aus Parma stammten, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit nennen. Aufgrund der bislang zumeist von der israelitischen Kultusgemeinde in Parma gesammelten Nachrichten wird die Zahl der Opfer aus Parma auf 22 bis 24 Menschen geschätzt.
Nur wenigen Menschen aus Parma gelang es, sich dank der Hilfe einiger Institutionen und Einzelpersonen der Deportation zu entziehen. Von diesen unterschiedlichen Helfern sei nur Riccardo Pellegrino herausgegriffen, Amtsrichter aus Fornovo Taro, der die Auswanderung zahlreicher Jüdinnen und Juden aus Parma ermöglichte. Er beschaffte falsche Papiere und schuf wichtige Kontakte, sodass den Verfolgten die Flucht in die Schweiz und damit ihre Rettung gelang.
Einzelschicksale
Die Familie Della Pergola-Camerini
Von links: Donato und Cesare Della Pergola wurden am Tag ihrer Ankunft in Auschwitz mit allen anderen Kindern aus dem selben Deportationszug in den Gaskammern ermordet. Mutter Emilia Camerini wurde auch nach Auschwitz deportiert.
Donato und Cesare waren die Söhne des Rabbiners Enrico Della Pergola und Emilia Camerini aus Parma. Als die antijüdischen Gesetze in Kraft traten, musste der 6-jährige Donato, sein Bruder war erst drei, die öffentliche Schule verlassen. In den Jahren von 1938 bis 1943 bewegte sich das Leben der Familie zwischen dem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und der gleichzeitigen Hoffnung, dass sich die Dinge eines Tages wieder einrenken würden. Diese Hoffnung, die mit dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 Wirklichkeit zu werden schien, wurde jedoch bald zerschlagen. Anstatt dass Krieg und Diskriminierungen ein Ende fanden, kam die deutsche Besatzung. Während der Vater und andere Männer in die Schweiz flüchteten, weil sie als Gemeindevertreter stark gefährdet waren, zog sich die Mutter mit den beiden Söhnen, den Tanten, der Großmutter und anderen jüdischen Familien in den Apennin zurück in dem Glauben, somit der Gefangenschaft zu entgehen.
Am 12. Dezember 1943 wurden sie von einem faschistischen Trupp gefangen genommen und in das Frauenkonzentrationslager von Monticelli Terme verfrachtet, wo sie nahezu drei Monate blieben. Von dort aus kamen sie in das Lager von Fossoli und wurden alle, bis auf die Großmutter, nach Auschwitz deportiert. Am Tag der Ankunft wurden Donato und Cesare zusammen mit allen anderen Kindern, die mit ihnen im selben Zug deportiert worden waren, in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Es war der 10. April 1944.
Die Familie Fano
Liliana und Luciano Fano waren in Pellegrino Parmense zur Welt gekommen, wohin ihre Eltern schon 1931 gezogen waren. Der Vater Ermanno, Doktor der Chemie, führte dort die Ortsapotheke. 1938 erhielt er aufgrund der „Rassengesetze“ Berufsverbot. Er war gezwungen mit seiner Familie nach Parma zu ziehen, um dort bei den Großeltern unterzukommen.
Der Vater arbeitete nun als Angestellter in einer Apotheke, während der kleine Luciano, der nicht mehr die Schule besuchen durfte, in das Privatinstitut „De La Salle“ geschickt wurde. Im März 1942 kam noch der kleine Bruder Roberto zur Welt.
Am 7. Dezember 1943 wurde die gesamte Familie einschließlich der Großmutter Giulia Bianchini und des Großvaters Enrico Fano von zuhause abgeholt und eingesperrt. Die Großeltern kamen in das Gefängnis San Francesco, die Mutter Giorgina Padova mit den drei Kindern in das Lager Monticelli, der Vater Ermanno nach Scipione. Die Kinder mussten denselben Weg mit ihren Eltern gehen wie die anderen Jüdinnen und Juden aus Parma: von Fossoli nach Auschwitz. Die Großeltern kamen in andere Lager. Aus den Vernichtungslagern kehrte niemand von ihnen zurück.
Partisanen
Nach dem 8. September 1943 wählte eine kleine Minderheit der Italiener den Weg in den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und den Faschismus der RSI und gründete die ersten Partisanenformationen. Auch einige Juden haben daran teilgehabt, wobei zu bedenken bleibt, dass „ein jüdischer Partisan zwei Mal so viel riskiert hat wie ein anderer.“ Davon ließen sich jedoch Remo Coen und Cesare Bassani nicht abschrecken. Coen, der den Kampfnamen „Raffaello“ erhielt, war 1916 in Parma geboren und hatte seinen Militärdienst geleistet. Im Frühjahr 1944 wurde er Mitglied in der 47. Brigade Garibaldi und erreichte den Grad eines Majors. Am 20. November 1944 fiel er einer deutschen Durchkämmungsaktion, der „Operation Regenwetter“, zum Opfer. Vom italienischen Staat wurde er nach dem Krieg für seine Widerstandstätigkeit mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.
Cesare Bassani, Kampfname „Sam“, war in Carrara zur Welt gekommen, wo der Vater eine Druckerei hatte. Cesare unterbrach sein Medizinstudium, um in der Resistenza zu kämpfen und schloss sich der 1. Brigade Julia an. Während eines Bombardements wurde er am 2. Juli 1944 verwundet. Kurz nachdem er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, erlag er seinen Verletzungen.
Stefania Campanini, Guido Pisi (Parma)
(Übersetzung Nadja Bennewitz)