“Die Angst war enorm …“
Der italienische Faschismus, wie der deutsche Nationalsozialismus, verfolgte in den Jahren seiner Herrschaft Homosexualität als „gemeinschaftsschädliches Vergehen“, später als „Verunreinigung der Rasse“.
Denkmal für die Verfolgung Homosexueller in Rom. Die fünf Metall-Silhouetten symbolisieren fünf Häftlingsgruppen. Die erste Silhouette trägt den Rosa Winkel. Der Platz auf dem das Denkmal steht, wurde von den Nazis verwendet, um bei Razzien gegen die Zivilbevölkerung Verhaftete zusammenzutreiben und von hier aus zu deportieren. (Zum Vergrößern auf das Bild klicken)
„Nur eine einzige Frau fühlte sich in der Lage, sich für meinen Dokumentarfilm offen vor die Kamera zu stellen“, erzählt die italienische Filmemacherin Gabriella Romano.
Und Giuseppe B., 74 Jahre, aus Salerno ist etwas verwundert, dass nach so vielen Jahren jemand etwas über seine Geschichte wissen will, aber auch er will nicht, dass eine Tonaufnahme des Interviews oder Fotos gemacht werden.
Die Angst war enorm, die Angst entdeckt zu werden, als psychisch gestört erklärt oder verraten zu werden. Die Angst vor Verhaftung, vor Exorzismen oder vor der Verbannung. Und die Angst blieb, zusammen mit der Scham, zugedeckt durch das Schweigen und die Ignoranz der Gesellschaft – bis heute.
„Sie kamen nach Mitternacht an meine Tür. Sie klopften und riefen: Sind Sie es L. G.? Kommen Sie, der Kommissar will mit Ihnen reden. Und so haben sie uns ins Gefängnis gebracht, wo wir 15 Tage eingesperrt waren.“ Der italienische Faschismus, wie der deutsche Nationalsozialismus, verfolgte in den Jahren seiner Herrschaft Homosexualität als „gemeinschaftsschädliches Vergehen“, später als „Verunreinigung der Rasse“. Auch wenn in Italien nicht das gleiche Ausmaß bezüglich der Anzahl der Verfolgten sowie der Schwere der Repression wie in Nazi-Deutschland erreicht wurde, so gab es auch unter Mussolini Maßnahmen der Freiheitsberaubung für Hunderte von Personen aufgrund ihrer sexuellen Präferenz. Die Faschisten griffen die vorherrschende Homophobie auf und verstärkten das Klima von Angst, Intoleranz und Schweigen, das, wie oben beschrieben, bis heute seine Auswirkungen hat.
Das faschistische Gesetzeswerk hatte keine speziellen Gesetze gegen Homosexualität, keinen § 175 wie etwa Nazi-Deutschland. Allerdings bedeutete diese Abwesenheit keinesfalls Toleranz oder gar die Anerkennung der Rechte Homosexueller. Der Gesetzgeber negierte vielmehr die Existenz von Homosexuellen und wählte damit eine Strategie, die dem Verschweigen und Negieren mehr Erfolgsaussichten beimaß als der offenen Androhung und Anwendung von Repression.
Im Entwurf des faschistischen Gesetzeswerkes war ein entsprechender expliziter Antihomosexuellen-Paragraph allerdings noch vorgesehen und fand damals Beifall in breiten gesellschaftlichen Kreisen. In der Endfassung fiel er dann aber zugunsten der Strategie der „Repressiven Toleranz“ (Giovanni Dall’Orto) weg.
Man erinnerte sich an die Diskussionen um Oscar Wilde in England oder Magnus Hirschfeld in Deutschland, beides Länder, in denen ein entsprechender Antihomosexuellen-Paragraph existierte, und beschloss den Weg des maximal möglichen Schweigens zu wählen. Man betitelte Homosexualität nicht, um Homosexuelle in die Einsamkeit und Isolierung zu treiben und jedes Gefühl von Solidarität zu ersticken.
Die Negierung und Pathologisierung traf Lesben noch stärker als homosexuelle Männer. „Ich habe das Wort Lesbe das erste Mal in den 50er-Jahren gehört“, erinnert sich eine Zeitzeugin, die anonym bleiben will. Lesben wurden im Faschismus für hysterisch erklärt, als psychisch gestört abgestempelt oder Exorzismen und Teufelsaustreibungen unterzogen.
„Das Modell der arbeitsamen und gehorchenden Frau, des jungen Mädchens, das in den Duce (Mussolini) verliebt ist, der heroischen Mutter, die immer die männliche Autorität anerkennt, verstärkt durch eine einengende, die Luft abdrückende Propaganda verfolgte die Frauen.“, beschreibt die Regisseurin Gabriella Romano die Situation von Frauen und Mädchen im Faschismus. „Es war eine verdeckte aber minutiöse und sehr effektive Form der Repression“. Diese äußerte sich zwar kaum in Strafmaßnahmen (In den örtlichen Polizeiakten findet sich die Akte einer einzigen Frau, die unter dem Vorwurf der Homosexualität eingesperrt wurde. Sie war vom Ehemann einer Freundin denunziert worden), aber sie traf Frauen überall.
„Eines ihrer Resultate war die Selbstbeschränkung, die bis heute überlebt hat“, so Romano weiter. „Mir gefiel ein Mädchen, und deswegen hatte ich immer Angst vor meiner Mutter und dem Pfarrer, der zu uns ins Haus kam. Erst Jahre später, nach dem Tod meiner Mutter, gelang es mir meine Lähmung zu überwinden“, konkretisiert eine Zeitzeugin. Für viele Frauen und junge Mädchen blieb nur die Isolierung und die Einsamkeit. „Die Männer hatten wenigstens heimliche Treffpunkte.“ (Romano)
Auch wenn die faschistische Gesetzgebung keinen expliziten Antihomosexuellen-Paragraphen beinhaltete, war es auf lokaler, administrativer Ebene sehr wohl möglich, mit dem Vorwurf der Päderastie und dem Vorwurf der Erregung öffentlichen Ärgernisses homosexuelle (Männer) zu verfolgen. In Giuseppe B.’s Akte ist zu lesen, er habe eine ernste Gefahr für die Gesellschaft dargestellt, da er häufig zu Skandalen Anlass gebe, wenn er geschminkt auf der Straße erscheine, ein Anblick, von dem sich die Passanten angeekelt fühlten.
Als Repression gegen (männliche) Homosexualität wurden Verwarnungen ausgesprochen, die signalisieren sollten, dass die betreffende Person in Zukunft unter Kontrolle stehe – eine polizeiliche Maßnahme, die ohne Anhörung des Betroffenen angeordnet wurde. Eine weitere Repressalmaßnahme war eine Art Hausarrest, bei der die beschuldigte Person nur zu bestimmten Zeiten das Haus verlassen konnte, keine öffentlichen Orte aufsuchen durfte und sich täglich bei den Behörden melden musste. Ein anonymer Zeitzeuge erzählt: „Nein, wir konnten nicht mehr ohne weiteres das Haus verlassen, wir wurden kontrolliert. Man verurteilte uns zu zwei Jahren Hausarrest. (…) Wir mussten sehr vorsichtig sein. Man hat uns auch gedroht, wenn sie uns wieder festnähmen, würden sie uns diesmal nie wieder gehen lassen. Die Angst war enorm.“ Er war aus der Verbannung entlassen worden, als Italien 1940 in den 2. Weltkrieg eintrat. Seine Reststrafe musste er als Hausarrest absitzen.
Eben jene Verbannung (confine) war die härteste Strafe, die gegen Homosexuelle angewendet wurde. Man verbannte sie, wie auch andere Verurteilte oder politische Gegner, auf eine Insel oder in einsame, unwirtliche Bergregionen innerhalb Italiens. „Wir versuchten so gut wie es eben ging zu leben. Wir lachten, wir spielten Theater (…) Wenn ein neuer Schwuler angekündigt wurde, gab jeder von uns eine Lire, um eine Tischgesellschaft zu organisieren. (…) Im Prinzip ging es uns dort besser als daheim. Zu meiner Zeit durftest du als Schwuler nicht auffallen, sonst wurdest du sofort von der Polizei verhaftet. In der Verbannung hingegen feierten wir, wenn einer von uns Namenstag hatte, wir feierten, wenn ein Neuer ankam. Das diente natürlich auch dazu, die Zeit rumzubringen.“
Auch wenn manche Zeitzeugen, wie etwa Giuseppe B., die Zeit der Verbannung aus spezifischen Gründen nicht nur negativ erinnern, war sie ein Mittel der Stigmatisierung und Ausgrenzung aus der Gesellschaft mit anhaltender Wirkung. Etliche, so auch Giuseppe B., verließen nach dem Krieg erst einmal ihre Städte und Dörfer.
Mindestens 300 schwule Männer wurden zwischen 1938 und 1943 in die Verbannung geschickt. Eine Zahl, die noch sehr ungenau ist, da aufgrund des italienischen Archivgesetzes noch nicht alle Akten einsehbar sind.
Die Maßnahme der Verbannung wurde vor allem ab 1938 angewendet. 1938 wurden in Italien die Rassengesetze eingeführt, begleitet von zahlreichen rassistischen Texte und Arbeiten. Diese ideologische Verschärfung in Italien schlug sich auch in der Verfolgung Homosexueller nieder, da es nun um den „Schutz der Rasse“ ging. Die italienische Politik näherte sich schon ab 1936 dem nationalsozialistischen Bündnispartner an. Homosexuelle wurden nun als antifaschistisch, und damit als politisch eingestuft. Gegner, die die Bestimmung der Männlichkeit innerhalb der Rasse nicht respektierten und somit eine Gefahr der „Degeneration” darstellten, bzw. sich einer „Verbesserung der Rasse” widersetzten.
In Italien gelingt es in den letzten Jahren Schritt für Schritt, die Verfolgung von Schwulen und Lesben im Faschismus und ihre Auswirkung in die herrschende Gedenkkultur einzufügen. Erstmals war dieses Jahr bei den offiziellen Gedenkfeiern der Stadt Turin anlässlich des 27. Januar (Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Arme) auch ein Vertreter des Bündnisses Turin Pride vertreten. Dieses Bündnis, bestehend aus schwulen, lesbischen, bisexuellen und Transgender-AktivistInnen, organisiert die Pride-Demonstration 2006 in Turin. In Rom und Bologna existieren Gedenksteine zur Erinnerung an homosexuelle Opfer, an denen zum 25. April, dem Jahrestag zur Erinnerung an die Resistenza, an den italienischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung, Gedenkfeiern stattfinden.
Heike Herzog