„Obenauf die Kartoffeln, darunter die Munition‘‘

Vom täglichen Widerstand einer Partisanin

Giacomina Castagnetti (Jg. 1925) stammt aus einer antifaschistischen Familie. Schon als Kind wird sie somit politisiert. Als 1940 Italien an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ­eintritt, schreibt sie sich – 15jährig – in die Kommunistische Partei ein. Nach dem Waffenstillstand mit den Alliierten am 8. September 1943 schließt sie sich dem Widerstand an.

Giacomina Castagnetti: Mit der ­Resistenza wurden die sogenannten Frauenbefreiungsgruppen gegründet, denen ich beitrat. Natürlich war unser erstes Ziel, gegen den Krieg zu kämpfen, aber selbst in der Zeit, in der wir illegal leben mussten, trafen wir uns und diskutierten über das Frauenwahlrecht und andere Rechte, die wir für Frauen einforderten. Unsere Zusammenkünfte haben wir mitten auf dem Land abgehalten, um nicht die Familie und den Hof, in deren Nähe wir uns trafen, in Gefahr zu bringen. Es waren sehr viele Frauen in diesen Gruppen organisiert. Ich war ja schon vorher aktiv, aber viele andere haben sich erst 1943 für den Widerstand entschieden. Nach dem 8. September musste man sich entscheiden: Entweder gingst du in die Berge oder du hast dich der faschistischen Republik von Salò angeschlossen. Es gab keine dritte Möglichkeit. Das wichtigste Ziel, das muss man sich klar machen, war das Ende des Krieges.

Die Arbeit dieser Frauenbefreiungsgruppen bestand darin, in die Familien zu gehen, um für die Partisanen zu sammeln oder andere Familien in den Kampf mit einzubeziehen, sie für den Widerstand zu gewinnen. Wir sprachen mit Familien, ob sie Partisanen beherbergen würden. Diese Arbeit war natürlich nicht ungefährlich. Wir wussten ja nicht immer, mit wem es diese Leute hielten, wie sie politisch eingestellt waren. Aber der Widerstand hätte sich nicht vergrößert, wenn wir uns nur in unserem Kreis von Antifaschisten aus den Jahren zuvor verschanzt hätten. Außerdem war jeder Truppenabteilung eine Stafette zugeteilt, es sollten und durften nicht mehr sein. Wir kannten immer nur eine oder maximal zwei Personen. Wenn ich alle Personen gekannt hätte, die wie ich an derselben Aktion beteiligt waren, und sie mich gefangen hätten, wäre es einfacher gewesen, alles aus mir herauszubekommen. Vielleicht hätte ich dem Druck und dem Terror standhalten können, aber ich hätte auch Namen preisgeben und dadurch die ganze Gruppe und unsere Organisation in Gefahr bringen können. Deswegen musste diese Reihe unterbrochen werden, indem man nichts wusste, niemand weiteren kannte.

Als Stafetten übermittelten wir Nachrichten und transportierten Flugschriften und Waffen. So trugen wir in unserem Einkaufskorb beispielsweise obenauf die Kartoffeln und versteckt darunter die Munition und den ­Revolver. Um Informationen weiter­zugeben war das Fahrrad das schnellste Mittel. Wir mussten oftmals flüchten oder uns verstecken. Heute kauft man einfach eine Zeitung am Kiosk, aber damals bedeutete eine Zeitung gegen den Krieg in der Tasche zu haben, sich in Lebensgefahr zu befinden. Uns gegenüber stand die deutsche Streitkraft, sehr gut ausgerüstet und versorgt. Wir waren mit Sicherheit etwas unbedacht, die Gefahren waren uns nicht so bewusst. Hier wurden Mechanismen ausgelöst, die uns zum Handeln bewegten, die heute im Nachhinein sehr schwer zu erklären sind.
Bei Kriegsende war uns bewusst, dass wir einen erheblichen Beitrag zur Befreiung des Landes geleistet hatten. Als die Frauen nach dem Krieg das Wahlrecht erhielten, war es letztendlich auch hier so, dass die Parteien, gleich welcher Couleur, die Frauen brauchten. Deshalb hat sich niemand auf politischer Ebene getraut, sich gegen das Frauenwahlrecht zu stellen. Es war klar für uns, dass wir jetzt auch mehr Rechte und Freiheiten erhalten wollten, und dass dies auch unser gutes Recht war. Es hätte nach dem Geschehenen einfach nicht mehr anders sein können. Der Faschismus hatte die Frauen, die bisher immer im Haushalt oder auf dem Hof gearbeitet hatten, in den Fabriken gebraucht, weil die Männer an der Front waren. Wir waren daher keine voneinander isolierten Frauen mehr, nicht mehr jede für sich hinter ihrem Herd, abgeschieden von anderen Frauen. Wir waren Frauen geworden, die in der Gesellschaft präsent waren.
Trotzdem aber mussten wir nach dem Krieg tausend Widerstände brechen. Denn natürlich gab es Rückwärtsgewandte. Man hat so manche Partisanin misstrauisch beäugt. Aber letztendlich mussten die Männer einsehen, dass die Arbeit der Frauen wichtig war, denn wenn es z.B. die Stafetten nicht gegeben hätte, wären die Partisanengruppen völlig isoliert voneinander gewesen. Es gab natürlich immer wieder Männer, die die Frauen genauso wie in vergangener Zeit gering geschätzt haben, aber als Partisanen konnten sie das nicht mehr tun.

Giacomina Castagnetti beim Denkmal für die Frauen der Resistenza in Castelnovo Monti (2009)

Giacomina Castagnetti beim Denkmal für die Frauen der Resistenza in Castelnovo Monti (2009)

Videodokumentation einer Zeitzeuginnenveranstaltung „Partigiana. Sempre!“ mit Giacomina Castagnetti (mit deutscher Übersetzung)