„Sehen Sie, was für eine schicke Uniform er hatte“

 Alberto Custodero Renninger auf einem Volksfest Alberto Custodero zu Besuch bei Anton Renninger 1998 in Erlangen

Alberto Custodero mit dem Foto von Anton Renninger (s. mitte) vor dem Hotel Nazionale in Turin, zur Zeit der deutschen Besatzung Sitz des Sicherheitsdienstes (SD). Rechts: Mit dem alten Foto besucht Alberto Custodero 1998 Anton Renninger in Erlangen (Vergrößern: auf die Bilder klicken) 

Ein italienischer Journalist zu Besuch bei Renninger in Erlangen

Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte entschieden: „no“. Er sei nur der Ausführende gewesen, habe nicht entscheiden können, jemanden zu erschießen …

Alberto Custodero ist Journalist der italienischen Tageszeitung La Repubblica. Als in Rom vor ein paar Jahren verschwundene Akten zu Verbrechen an der italienischen Zivilbevölkerung während der deutschen Besatzung auftauchten, interessierte er sich für das Massaker von Cumiana. Mit Hilfe von Marco Comello veröffentlichte er eine Reihe von Artikeln und benannte die Verantwortlichen. Die Militärstaatsanwaltschaft in Turin nahm die Ermittlungen auf, und ein ehemaliger Partisan überließ ihm ein altes Foto von Renninger. Mit diesem Foto machte sich Custodero 1998 auf nach Erlangen.

Alberto Custodero: Wir begannen zu untersuchen, ob Renninger überhaupt noch am Leben ist. Ob er in Deutschland wohnt oder vielleicht in Südamerika oder sonst wo. Ich bat also einige Kollegen in Deutschland, in ihren Computern und in ihren Telefonbüchern nachzuschauen. Schließlich haben wir in Erlangen einen Eintrag namens Anton Renninger gefunden, natürlich wussten wir nicht, ob es wirklich „er“ war. Aber ich hatte ja das Foto und wusste von seiner Kriegsverletzung, einer Narbe auf seiner Hand. Also bin ich am 13. Februar 1998 nach Nürnberg aufgebrochen, weil in Italien niemand wusste, was Erlangen ist. Von dort fuhr ich dann mit einem vereidigten Dolmetscher zur Adresse von Renninger nach Erlangen. Ich klingelte. Der Dolmetscher erklärte Renningers Frau, dass hier ein italienischer Journalist stehe, der mit ihrem Mann über seine Zeit in Italien reden möchte. Nein, nein, sie hätten keine Zeit; ihrem Mann gehe es nicht besonders gut, wehrte die Frau ab. Als ich alle anderen Klingelknöpfe ausprobiert hatte, ließ uns jemand ins Haus. Wir sind hoch in den ersten Stock und haben direkt an der Wohnungstür nochmals geläutet. Die Frau fragte wieder, was wir denn wollten, ihrem Mann gehe es nicht gut. Wir möchten gerne mit ihrem Mann über seine Zeit in Italien sprechen, erwiderten wir, über seine Zeit während des Krieges. „Nein, nein, nein, darüber wollen wir nicht sprechen“, verdeutlichte die Frau. Darauf hin schob ich die Fotografie unter der Tür durch: „Sehen sie, diese wunderbare Fotografie, was für ein schicker Mann ihr Mann damals war und was für eine schicke Uniform er hatte.“ Nun öffnete sie doch die Tür und ließ uns eintreten. Renninger saß in einem Ledersessel, war wach und bei klarem Bewusstsein, Renninger begrüßte mich und bot mir einen Sitzplatz an. Er erkannte sich auf dem Foto wieder. Langsam näherten wir uns dann der Thematik an. Ich zeigte ihm das Buch von Marco Comello über die Tragödie von Cumiana. Sehen Sie, erläuterte ich dazu, da gibt es ein Buch über diese Geschichte, und Sie kommen darin vor. Ich würde sagen, dass es sich wirklich um Sie handelt, denn ich weiß, dass Sie eine Narbe auf der Hand haben. Seine Frau fragte mich erstaunt, woher ich von der Narbe wissen könne. Das hat mir der Partisan Giulio Nicoletta erzählt, antwortete ich. Ja, das sei er gewesen, gab Renninger daraufhin zu, er sei dort gewesen. So hatte ich also einen Beweis. Ich habe ihm dann ausführlich aus dem Buch vorgelesen und seine Frau war – sagen wir es mal so – sehr besorgt. Sie wusste nicht bescheid. Als ich das gemerkt habe, war ich sehr schockiert. Es ist mir unangenehm gewesen, herzukommen und jemandem zu sagen, schau her, du hast 40 Jahre mit einem Kriegsverbrecher zusammengelebt – zumindest in den Augen von uns Italienern. In den Augen von Deutschen mag er vielleicht ein Held sein. Irgendwann ist seine Frau ans Telefon gegangen und ich redete mit Renninger unter vier Augen. Ob er den Befehl zur Erschießung wirklich nicht verweigern konnte, fragte ich ihn. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte entschieden: „no“. Er sei nur der Ausführende gewesen, habe nicht entscheiden können, jemanden zu erschießen, habe den Befehl aber auch nicht verweigern können. Wer den Befehl denn gegeben hat, fragte ich ihn, ob es General Hansen oder der Hauptsturmführer Alois Schmidt war?. Nein, Hansen hätte niemals so einen Befehl gegeben, antwortete er, das sei Schmidt gewesen. Ja und das war’s. Ich wusste nun alles, was ich wissen wollte. Auch dass Schmidt diesen Befehl gegeben hat, war bisher nicht bekannt.

Anmerkung: Alois Schmidt war Kommandierender des SD für die Region Piemont. Seine Behörde organisierte sowohl den Kampf gegen die Partisanen als auch die Deportierung der Turiner Juden und Jüdinnen. 1950 wurde er in einem Prozess in Neapel wegen anderer Kriegsverbrechen verurteilt. Man hatte aus Furcht vor Racheakten und Unruhen den Prozess nach Süditalien verlegt.