„Bedenkenlose Totalität des Vernichtungswillens“

Deutsches Propagandaplakat Ende 1943: "Deutschland ist wirklich Euer Freund"Deutsche Kriegsverbrechen in Italien

Bezeichnend für die deutsche Besatzungsherrschaft und Kriegsführung in Italien ist eine Feststellung des Ministerrates von Mussolinis sogenannter REPUBBLICA SOCIALE ITALIANA im Januar 1945: Die Deutschen sollten endlich aufhören, das „Territorium der Republik, deren Bürger und Güter“ als ihre „Kriegsbeute“ zu betrachten.
Das Diktum des faschistischen Führungsgremiums widerspricht der bei uns gern geglaubten Behauptung, dass dem „Bruch kriegsvölkerrechtlicher Einhegungen und der Menschenvernichtungsmaschinerie im Osten eine überwiegend anständig agierende Wehrmacht im Westen“ gegenüberstand.

Übersicht: 

Massaker an italienischen Soldaten
Keine Lebensgefahr bei Befehlsverweigerung
Straffreiheit bei „Bandenbekämpfung“
Protest vom „Duce“ gegen „blindwütige Repressalien“ 
Kesselrings blutiger Terror   
 Geiseltötung und Völkerrecht 
„Alle-Macht-dem-Führer-Erklärung“

 Deutsches Propagandaplakat Ende 1943: "Deutschland ist wirklich Euer Freund"   Zum Kriegseintritt 1940 veröffentlichtes Propagandaplakat   Anlässlich des Überfalls auf die UdSSR 1941 veröffentlichtes Plakat Das 1944 verteilte Plakat wirbt für den Eintritt in die Spezialeinheit

von links: Deutsches Propagandaplakat Ende 1943: "Deutschland ist wirklich Euer Freund"
Zum Kriegseintritt 1940 veröffentlichtes Propagandaplakat
Das 1944 verteilte Plakat wirbt für den Eintritt in die Spezialeinheit
Anlässlich des Überfalls auf die UdSSR 1941 veröffentlichtes Plakat

Bezeichnend für die deutsche Besatzungsherrschaft und Kriegsführung in Italien ist eine Feststellung des Ministerrates von Mussolinis sogenannter REPUBBLICA SOCIALE ITALIANA im Januar 1945: Die Deutschen sollten endlich aufhören, das „Territorium der Republik, deren Bürger und Güter“ als ihre „Kriegsbeute“ zu betrachten.

Das Diktum des faschistischen Führungsgremiums widerspricht der bei uns gern geglaubten Behauptung, dass dem „Bruch kriegsvölkerrechtlicher Einhegungen und der Menschenvernichtungsmaschinerie im Osten eine überwiegend penibel anständig agierende Wehrmacht im Westen“ gegenüberstand. In Wahrheit gab es, das zeigt sich am polnischen, jugoslawischen, griechischen, französischen und italienischen Beispiel, bei der Missachtung des Kriegsrechts lediglich ein quantitatives Ost-West-Gefälle.

So sah das auch der Philosoph Karl Jaspers, der schon 1945 klarstellte, dass der vom Deutschen Reich entfesselte Krieg in „Ursprung und Durchführung verbrecherische Tücke und bedenkenlose Totalität des Vernichtungswillens“ bedeutete. Genau das bestätigt das Kriegsgeschehen in Italien.

Dafür stehen ungefähr 17.000 getötete Zivilpersonen, rund 37.000 politische Gefangene, die nicht mehr heimkehrten, etwa 12.000 aufgrund verbrecherischer Befehle umgekommene Soldaten und nicht weniger als 46.000 tote „Militärinternierte“.

Bei letzteren handelte es sich um mehr als 620.000 in Gefangenschaft geratene italienische Militärangehörige, denen die Reichsführung den Kriegsgefangenenstatus und damit die im Genfer Abkommen vom 27. Juli 1929 festgeschriebenen Rechte verweigerte.

Völkerrechtswidrig machte das NS-Regime das Gros dieser jeder Willkür ausgesetzten, extrem schlecht behandelten Männer im Sommer 1944 zu zivilen Zwangsarbeitern. Sie hätten damit Anspruch auf Entschädigungszahlungen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Tatsächlich aber wurden die Militärinternierten aus dem Kreis der Entschädigungsberechtigten ausgeschlossen.

Vom 8. September 1943 bis zum 2. Mai 1945 starben im Durchschnitt – ohne Berücksichtigung der knapp 45.000 getöteten PartisanInnen, der gefallenen regulären Soldaten sowie der durch Kriegseinwirkungen (etwa Luftangriffe) umgekommenen Personen – täglich über 160 italienische Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deutsche Hand.

Massaker an italienischen Soldaten

Zu den ersten Opfern nach dem italienischen Kriegsaustritt zählten die Ex-Waffenbrüder. Am 10. und 12. September 1943 gab das Oberkommando der Wehrmacht zwei Führerweisungen heraus: Bei Truppen, die sich – wie von ihrer Regierung befohlen – gegen die Entwaffnung und Besetzung des Landes wehrten, sollten die Offiziere nach der Gefangennahme erschossen und die Unteroffiziere sowie Mannschaften ins Operationsgebiet des Heeres im Osten verbracht werden.

Deutschland verstieß damit gegen die Haager Landkriegsordnung vom 28. Oktober 1907. Denn dieses internationale Abkommen, das nicht alle, aber einen großen Teil der Regeln des Krieges zwischen Landstreitkräften kodifiziert, verbietet in Artikel 23c „die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat“.

Eine weitere verbrecherische Weisung Hitlers für den italienischen Kriegsschauplatz befahl am 18. September 1943, dass unter den auf der Insel Kefalonia Widerstand leistenden Angehörigen der Infanteriedivision „Acqui“ keine Gefangenen gemacht werden sollen. Der Befehl war völkerrechtswidrig gemäß Artikel 23 d der Haager Landkriegsordnung, der „die Erklärung, daß kein Pardon gegeben“ werde, „untersagt“. Dennoch führte man ihn aus: Bis zu 5.326 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften wurden (oft auf grausamste Weise) umgebracht, als sie ihre Waffen niederlegen wollten oder niedergelegt hatten.

Keine Lebensgefahr bei Befehlsverweigerung

Für die wenigen Offiziere, die solche Befehle nicht ausführten, hatte ihre Verweigerung in keinem Fall nachteilige Folgen. Das überrascht nicht, denn jeder Wehrmacht- oder SS-Angehörige konnte sich auf § 47 Militärstrafgesetzbuch berufen, der es verbot, wissentlich einen Befehl zu befolgen, der ein „bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte“. Außerdem durfte gemäß den „Zehn Geboten für die Kriegführung des deutschen Soldaten“, die jeder Wehrmachtangehörige in den Händen hatte, „kein Gegner getötet werden“, der sich ergab, nicht einmal der „Freischärler und der Spion“. Das mag erklären, warum sich bis heute – bei rund 1.600 untersuchten Fällen – kein einziger Fall nachweisen ließ, in dem ein Soldat oder SS-Mann wegen der Nichtausführung eines verbrecherischen Befehls in Befehlsnotstand geriet, das heißt, in eine Lage, in der ihm eine „gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben drohte“.

Straffreiheit bei „Bandenbekämpfung“

Mit dem Rekurs auf Zwang, Terror, das Prinzip von Befehl und Gehorsam, die Empörung über den angeblichen Verrat oder die schwierige Lage der deutschen Truppen in Italien ist besagter Massenmord nicht zu erklären. Es mangelte vor allem an Zivilcourage. Nicht zuletzt deshalb hinterließen die deutschen Divisionen bei ihrem Rückzug von Süd- nach Norditalien eine breite Blutspur. Allein in der Provinz Caserta ermordeten deutsche Soldaten vom 9. September bis zum 27. Dezember 1943 knapp 700 Menschen. Und in Caiazzo, einer kleinen Stadt unweit von Neapel gelegen, brachten Angehörige der 3. Panzergrenadierdivision am 13. Oktober 1943 zehn Kinder unter 14 Jahren, eine Jugendliche, sieben Frauen und vier Männer auf allerscheußlichste Weise um. Die Mörder gaben später zu Protokoll, es habe sich um Bandenbekämpfung gehandelt. Das traf objektiv nicht zu. Doch die Behauptung hätte ihnen bei einer Untersuchung der Tat durch die Wehrmachtsgerichtsbarkeit Straffreiheit verschafft. Denn nach dem 8. September 1943 galt Hitlers – ursprünglich für den russischen und den balkanischen Kriegsschauplatz herausgegebener – „Bandenbekämpfungsbefehl“ vom 16. Dezember 1942 auch in Italien. Dieser verpflichtete die Truppe, „ohne Einschränkungen auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg“ führte. Zugleich enthielt der Befehl ein totales Strafverfolgungsverbot: Kein Deutscher durfte wegen „seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsgerichtlich zur Rechenschaft“ gezogen werden.

Dass Hitler den Soldaten mit dem „Bandenbekämpfungsbefehl“ jede Scheu vor Exzesstaten nehmen wollte, hatte sich bereits am 1. Dezember 1942 gezeigt, als er mit Generalfeldmarschall Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, und General Jodl, dem Chef des Wehrmachtführungsstabes, die endgültige Fassung des Befehls diskutierte. Hitler bestand darauf, dass selbst die Tötung unschuldiger Frauen und Kinder erlaubt sein müsse. Nach General Jodl war nicht nur das gewährleistet. Denn die Männer durften „im Kampfe machen, was sie wollten“. Sie konnten ihre Gegner, weibliche offensichtlich eingeschlossen, sogar „aufhängen, verkehrt aufhängen oder vierteilen“.

Dessen ungeachtet behauptete Keitel im Nürnberger Prozess, „daß es niemals nötig gewesen wäre, deutschen Soldaten zu sagen, daß sie Frauen und Kinder nicht töten können und nicht töten dürfen“. Wenn dem so gewesen wäre, hätten mindestens 580 italienische Kinder unter 14 Jahren ihr Leben nicht verloren.

Weisungen für die Partisanenbekämpfung, bei der es in aller Regel zu den Verbrechen an der – großzügig zu Mitläufern, also Mitschuldigen erklärten – Zivilbevölkerung kam, lassen vermuten, dass sich Hitlers „Bandenbekämpfungsbefehl“ normativ auswirkte. Signifikanterweise wurden die Unterführer fast durchgehend mit einer Carte blanche ausgestattet. Und nicht nur Generalfeldmarschall Kesselring, der Oberbefehlshaber in Italien, dem dort seit April 1944 zugleich die oberste Leitung der Partisanenbekämpfung oblag, erklärte wiederholt, dass „zu scharfes Durchgreifen niemals Grund zur Strafe“ sein würde, wohingegen „schlappe und unentschlossene Führer“ rigoros „zur Rechenschaft“ gezogen werden sollten.

Für die Auswirkungen derartiger Befehle auf die Zivilbevölkerung stehen Hunderte italienischer Ortsnamen. Beim Lesen der Berichte von Augenzeugen entstehen Bilder, die exakt jenen gleichen, die uns aus dem „Vernichtungskrieg im Osten“ überliefert sind (siehe auch die Artikel Marzabotto und Sant’ Anna di Stazema in dieser Broschüre).

Protest vom „Duce“ gegen „blindwütige Repressalien“

Da sich solche Zustände für Mussolini innenpolitisch negativ auswirkten, protestierte er im Mai und August 1944 gegen „verbrecherische Handlungen“ deutscher Truppen. Kesselring mahnte daraufhin eine gewisse Disziplin an, beharrte aber auf der „Bandenbekämpfung mit schärfsten Mitteln“ – so blieb im Grunde alles beim Alten.

Der „Duce“ schrieb deshalb Mitte September an Botschafter Rahn, er habe geglaubt, das von Kesselring verschickte Rundschreiben würde den „blindwütigen Repressalien ein Ende“ setzen. Hingegen müsse er „feststellen, daß man in derselben Art weitermacht“.

Kesselrings Reaktion vom 24. September bezweckte Schadensbegrenzung. Bemerkenswert erscheint sie vor allem deshalb, weil der Generalfeldmarschall das „Erschießen von Frauen, Greisen und Kindern“ durch seine Soldaten zugab und erkennen ließ, dass er davon gewusst hatte. Doch praktisch tat Kesselring auch in der Folgezeit nichts gegen derartige Verbrechen. Kein einziger Fall ist bekannt, in dem ein deutscher Befehlshaber einen deutschen Täter wegen solcher Verbrechen zur Verantwortung zog.

Auch nach dem Kriegsende 1945 wurde nur eine Handvoll deutscher Täter von alliierten oder italienischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen, was in erster Linie im Zusammenhang mit dem sich anbahnenden Kalten Krieg und unter Berücksichtigung der innenpolitischen Verhältnisse in Italien gesehen werden muss.

Kesselrings blutiger Terror

Im zitierten Brief Mussolinis war auch von Repressalien die Rede. Der faschistische Regierungschef bezog sich hierbei auf Geiselerschießungen. Dazu kam es in Italien zwar weniger häufig als in Frankreich, wo im Gesamtzeitraum des Krieges – gemäß den Nürnberger Prozessakten – 29.660 Personen als Geiseln exekutiert worden sind. Aber spätestens seit dem Januar 1944 verfuhr man in Italien nicht weniger rigoros.

Traurige Berühmtheit erlangte die grausame Erschießung von 335 Menschen in den Fosse Ardeatine in Rom als Vergeltung für ein Attentat in der Via Rasella, bei dem das Polizeiregiment „Bozen“ am 23. März 1944 33 Tote und 67 Verwundete beklagte.

Im Juni 1944, als die Partisanentätigkeit deutlich zunahm, ging Kesselring bei der Geiseltötung erheblich weiter. Er gab bekannt, dass „Orte, in denen sich Banditen nachweisen“ ließen, in welchen es zu „Anschlägen auf deutsche oder italienische Soldaten beziehungsweise [zu] Sabotageaktionen“ kam, völlig niedergebrannt und „alle männlichen Einwohner“ über 18 Jahre erschossen würden. Die Frauen waren in Arbeitslagern zu internieren. Das Schicksal der Kinder blieb offen.

Der Ortskommandant von Cóvolo, in der Provinz Vicenza, der sich augenscheinlich an der zitierten Anordnung Kesselrings orientierte, informierte am 11. Juli 1944 die Bevölkerung, dass bei einem verwundeten Deutschen 50 und bei einem toten 100 männliche Einwohner des Ortes hingerichtet würden, in dessen Nähe sich der Anschlag ereignet hatte. Bei mehreren deutschen Verwundeten oder Toten sollten „sofort alle Männer des Bereichs erschossen, die Frauen interniert und das Vieh requiriert werden“.

Geiseltötung und Völkerrecht

Bis 1945 erfuhr die Geiselfrage im Völkerrecht keine kodifizierte Regelung. Folglich wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Geiselnahme und Geiseltötung (in der Zeit vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges) unterschiedlich beantwortet.

Die amerikanischen Richter im Fall VII, einem der 12 Nürnberger Nachfolgeprozesse, befassten sich detailliert mit dem Problem der Vertrags- und Repressalgeiseln. Erstere hafteten in einem besetzten Land mit ihrem Leben für das Wohlverhalten des Bevölkerungsteils, dem sie angehörten. Letztere wurden nach Attentaten oder Sabotageaktionen genommen und im Extremfall zur Vergeltung und Abschreckung getötet.

Besagte Richter, die ausführlich begründeten, dass die von ihnen als Kriegsverbrechen anerkannten Taten Verbrechen gemäß dem zur Tatzeit vereinbarten Recht oder dem Gewohnheitsrecht darstellten, verdammten Geiseltötungen als ein „Greuel“ und „barbarisches Überbleibsel aus der Vorzeit“. Trotz dieser moralischen Verurteilung bejahten sie jedoch das Recht auf Geiselnahme und Geiseltötung. Hierbei stützten sie sich zum einen auf die gewohnheitsrechtlich begründete Gehorsamspflicht der Zivilbevölkerung in einem besetzten Land; und zum anderen bezogen sie sich auf die Theorie von der Kollektivverantwortlichkeit. Beide Rechtfertigungen sind heftigst umstritten und lassen sich nicht mit Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung harmonisieren. In diesem heißt es nämlich: „Keine Strafe in Geld oder anderer Art darf über die ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann.“

Ansonsten aber machten die Richter die Rechtmäßigkeit der Geiselnahme und -exekution von bestimmten, genau definierten Voraussetzungen abhängig. Dazu gehörten: das Verbot, Geiseln aus Rache oder militärischen Zweckmäßigkeitsgründen zu töten; die Verpflichtung, nachzuweisen, dass die Bevölkerung aktiv oder passiv an dem zu sühnenden Vergehen Anteil genommen hatte; die Gewähr, dass vor der Geiselnahme oder Geiseltötung alle anderen Möglichkeiten zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung erschöpft waren; das Gebot, dass die Anzahl der getöteten Geiseln der Schwere der Tat, von deren Wiederholung die Hinrichtung abschrecken sollte, angemessen war, man spricht von einer „Proportionalitätsschranke“.

Nachgewiesen werden musste ferner, dass es unmöglich gewesen ist, die Täter zu ergreifen.

Untersagt waren Befehle, die feste Quoten für Geiseltötungen in allgemeiner Form vorschrieben. Die Behauptung, das Völkerrecht billige generell die Repressalquote 1:10, ist frei erfunden.

Hinzu kamen der Ausschluss von Sühnemaßnahmen, die von der Schuld einer besonderen „Rasse“, Klasse oder Bevölkerungsgruppe ausgingen, und das Erfordernis, dass der Befehl zur Geiseltötung auf dem Spruch des zuständigen Kriegsgerichts beruhte, mit dem dieses bestätigte, dass die für die Hinrichtung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt waren.

Die meisten der von den amerikanischen Richtern gestellten Bedingungen wurden bei den von deutschen Befehlshabern auf dem italienischen Kriegsschauplatz befohlenen Geiseltötungen nicht erfüllt. Deshalb ist nach dem Unrechtsbewusstsein der verantwortlichen Offiziere zu fragen. Es geht dabei um die Einsicht in die Rechtswidrigkeit ihres Tuns, die sie besaßen oder besitzen konnten.

Befehle aus dem Herbst 1943, die in etwa den von den Nürnberger Richtern aufgestellten Bedingungen genügten, lassen erkennen, dass die Wehrmachtsführung in Italien zur Tatzeit wusste, welche Bedingungen bei Geiseltötungen erfüllt sein mussten.

Zu bedenken ist ferner, dass die Alliierten das Töten von Geiseln 1942 und 1944 zum Kriegsverbrechen erklärten. Außerdem erließ der Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Italien, General Alexander, am 20. Oktober 1944 einen Aufruf an die deutschen Truppen, in dem er unter Nennung von Beispielen bekannt machte, dass Offiziere und Soldaten, die solche „Geiselmorde“ und „Massenvergeltungen gegen unschuldige Zivilisten“ sowie „Folterungen und andere ähnliche Barbareien“ befahlen oder ausführten, nach dem Krieg als „Kriegsverbrecher“ abgeurteilt werden würden.

„Alle-Macht-dem-Führer-Erklärung“

Was die deutschen Täter angeht, so zeigte sich ihr Unrechtsbewusstsein besonders deutlich bei Kriegsende, als ihnen die alliierterseits angekündigte Bestrafung drohte. Die militärische Führung suchte deshalb nach einem alle entlastenden Ausweg. Bis Mitte Mai 1945 entstand in der Rechtsabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht, das nach der Kapitulation noch eine Weile funktionierte, eine Ausarbeitung zur „Rechtslage der sogenannten Kriegsverbrecher“.

Um die Verurteilung schuldig gewordener Uniformträger zu verhindern, griffen die Autoren auf die „Alle-Macht-dem-Führer-Erklärung“ des Deutschen Reichstags vom 26. April 1942 zurück und behaupteten, Hitlers Befehle wären nach jener Erklärung in der Wehrmacht „bindendes Gesetz“ gewesen. Zudem habe ein Führerbefehl die Soldaten „jeder strafrechtlichen Verantwortung“ enthoben, „da durch ihn entgegenstehende gesetzliche Normen ihre Wirksamkeit verloren“ hätten. Selbst Weisungen, die ein „allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen“ bezweckten, mussten angeblich befolgt werden. Man wollte unter anderem glauben machen, dass Paragraph 47 Militärstrafgesetzbuch, der das Befolgen von als verbrecherisch oder rechtswidrig erkannten Befehlen mit Strafe belegte, nach dem April 1942 nicht mehr galt.

Das ist nachweislich falsch. Denn zum einen gab es weiterhin folgenlose Verweigerungen verbrecherischer Befehle, etwa 1943 in Italien, und zum anderen steht seit dem Auschwitz-Prozess von 1964 fest, dass verbrecherische Befehle selbst dann nicht allgemeinverbindlich wurden, wenn sie Führerbefehle waren oder auf solche zurückgingen.

Zudem konnte die Reichsregierung internationales Recht nicht außer Kraft setzen.

Alles in allem gab die Rechtsabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht in ihrer Studie zu, dass staatlich legitimierte Verbrechen wissentlich ausgeführt wurden. Nur wollte dafür nach dem 8. Mai 1945 niemand die Verantwortung übernehmen.

Die Richter in Nürnberg wiesen die Argumentation des Oberkommandos der Wehrmacht zurück. Sie bestanden, auch unter einem Unrechtsregime, auf der Verantwortung des einzelnen.

Diesem Artikel liegt ein 2002 in Detmold gehaltener Vortrag von Gerhard Schreiber zu Grunde.

Gerhard Schreiber ist Militärhistoriker und Autor u. a. des Buches Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München 1996.