„Diese Leute morgen früh kein Brot“

Carlo Porta – Straflager in Süditalien und Zwangsarbeit in Deutschland

Carlo Porta wurde nach Deutschland deportiert

Carlo Porta musste die Jahre 1939 bis 1942 aufgrund seiner antifaschistischen Oppositionstätigkeit in einem süditalienischen Straflager verbringen. Nach seiner Entlassung wurde er vom örtlichen faschistischen Parteisekretär als Wehrpflichtiger gemeldet und zum Militär eingezogen, dem er sich eigentlich hatte entziehen wollen. Nach den Vorschriften hätte er als „unzuverlässiger“ Soldat gar nicht in Albanien stationiert werden dürfen. Wenige Tage vor dem 8. September erging ein Befehl des italienischen Ministeriums, dass er unter Bewachung nach Italien zurück zu schicken sei. Aber zwischen der albanischen und italienischen Küste operierten bereits englische U-Boote, so wurde der Abfahrtstermin über den 8. September hinaus verschoben. Schließlich wurde er von dort als Militärinternierter nach Deutschland deportiert. 

Carlo Porta: Am 8. September feierte meine Einheit gemeinsam mit etwa 150 deutschen Soldaten das Kriegs­ende. Italiener und Deutsche legten ihre Uniformen weg. Kurz darauf erhielten die deutschen Soldaten jedoch den Gegenbefehl, sie zogen ihre Uniformen wieder an und nahmen uns alle fest, vom einfachen Soldaten bis zum Offizier. Zu Fuß und mit Karren mussten wir Richtung griechischer Grenze zu einem Bahnhof laufen. Dort wurden wir in Eisenbahn­wagons gepfercht und nach Deutschland deportiert. 17 Tage verbrachten wir in diesen Wagons auf dem Weg über Berlin ins Durchgangslager Neu­brandenburg.
Über 30.000 Häftlinge waren dort inhaftiert. Gleich zur Begrüßung ­erwähnte der Lagerführer das Massengrab hinter dem Lager, in dem bereits 16.000 Häftlinge begraben seien. Wenn wir uns entsprechend benähmen, würden wir überleben – wenn nicht, würden wir uns bei den 16.000 wieder finden.
Aber wir waren jung und konnten auch über manche Dinge lachen. Am ersten Morgen kamen Soldaten und riefen „Aufstehen! Aufstehen!“ Und wir sagten: „Ah, auf geht‘s zum Kaffeetrinken.“ Bloß, dass den Kaffee nur sie tranken. Wir verstanden, dass dies der Weckruf war, und diese Worte habe ich nie verlernt.
In Neubrandenburg blieb ich ungefähr drei Monate lang. Wir mussten in einer Ziegelfabrik fertige Steine auf LKW‘s und Züge verladen.

Carlo Porta

Dem Verein zur Förderung alternativer Medien erzählte Carlo Porta im September 2001 in Reggio Emilia über seine Zeit als Internierter und Sklavenarbeiter in Deutschland.

Im Lager war auch jemand von der ­faschistischen Miliz und ein Soldat der Armee, beide hätten mich eigentlich vor dem 8. September von Albanien nach Italien zurückbegleiten sollen. Sie hatten deshalb meine gesamten Unterlagen. Sogar diese beiden überzeugten Faschisten wurden deportiert. Ich hatte also die ganze Zeit große Angst, dass meine Vorgeschichte als politischer Gefangener herauskommen würde. Zum Glück wurden sie mit Arbeitskommandos in andere Städte geschickt. So verloren wir uns aus den Augen und meine Unterlagen sind nie mehr aufgetaucht.
Mit dem Vorrücken der Sowjets ­musste ich für ein Jahr ins Ruhrgebiet, un­gefähr 30 km von Essen entfernt. Eine große Batteriefabrik – dort wurden auch Batterien für Panzerfahrzeuge gebaut – wurde ständig bombardiert und wir mussten immer wieder aufräumen. Ich musste dann auch während der Luftangriffe arbeiten. Irgendwann habe ich aufgehört mich vor den Bomben zu verstecken und nur gehofft, dass alles gut geht. Unser Tag begann sehr früh. Man wurde um 5 Uhr geweckt, danach ging es 2 km zu Fuß zum Bahnhof. Zurück kamen wir oft erst abends um 9 Uhr. Mittags aß man dort, wo man gerade arbeitete. Es gab gestampfte Kartoffeln mit ­etwas Margarine. Für den restlichen Tag blieb uns nur Brot, das man sich in Portionen schnitt, um jede Stunde ein winziges Stück davon zu essen. Und abends, wenn wir Brot schnitten und die Krümel auf dem Tisch lagen, ­rissen sich alle darum, den Tisch sauber zu machen. Das schlimmste war der abendliche Zählappell. Einer fehlte immer, manche waren einfach schon auf ihren Lagern eingeschlafen. Wir mussten dann oft eine Stunde Gymnastik machen, auch im Regen.
Den härtesten Kampf mussten wir Militärdeportierte austragen, als Hitler beschloss, unseren Status als Kriegsgefangene aufzuheben. Man forderte uns auf, in die Division Monterosa einzutreten – eine Einheit der faschistischen Schwarzhemden. Man hätte also zumindest nach Italien zurückkehren können. Ein Offizier aus Sardinien und ich kämpften dafür, dass niemand sich dazu bereiter­­klärte. Wir glaubten nicht, dass sie uns nach Italien zurückschicken würden, sondern an die russische Front. Der Lagerführer befahl daraufhin: „Diese Leute morgen früh kein Brot“ [diese Worte sind Carlo Porta heute noch auf Deutsch im Gedächtnis]. Die Aus­einandersetzung dauerte zwei bis drei Monate, aber 300 Häftlinge haben nicht unterschrieben. Irgendwann haben sie aufgegeben, aber wir bekamen viele Abende kein Brot. Es gab auch Lager, in denen die Unterschriften mit Gewalt erzwungen wurden.
Eines Tages standen amerikanische Panzer da, es war soweit, wir waren befreit. Wir sind dann in verschiedene Gefangenenlager hin und her geschoben worden, mal unter ameri­kanischer, mal unter sowjetischer oder englischer Verwaltung. Mehrere Monate musste ich auf eine Transportmöglichkeit nach Italien warten. Am 12. September 1945 kam ich dann als einer der Letzten nach Hause zurück. Seit zweieinhalb Jahren wussten wir nichts mehr von unseren Angehörigen und waren in großer Sorge, was wir vorfinden würden, wenn wir zurückkehrten.

Dieses Zeitzeugengespräch führte der Verein zur ­Förderung alternativer Medien 2001 in Reggio Emilia